Was derzeit in Großbritannien passiert, ist zugleich ein Ausblick auf die hiesige Entwicklung und die Essenz der politischen Strategien eines Kapitalismus im Endstadium. Ob da noch etwas zu retten ist, wird sich zeigen. Es wird um die Frage gehen, ob das Land wirtschaftlich und sozial stabilisiert werden kann oder beim Versuch scheitert und im Chaos versinkt. Die Alternative zu Letzterem ist Faschismus.
Die Trickle-Down-Ideologie des Thatcherism und der Reagonomics war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und nur ein Gewand, in dem Profite gesichert werden mussten. Keynes war gescheitert, die Idee, die Mehrheit am Zuwachs der Produktivität zu beteiligen und Konsum anzukurbeln, wurde aufgegeben. Seitdem wird geplündert und ausgequetscht. Vor allem Infrastruktur ist der Renner. Energie, Wohnen, Wasser, eben alles, worauf niemand verzichten kann.
Flow up
Eine ganze Weile gelang es, Kapital an Börsen zu binden und den Zuwachs durch Gelddrucken zu sichern. Solange mehr dem Kapitalmarkt zuwächst, gibt es halt Zuwachs, mithin können Profite verbucht werden. Zudem wurden Modelle aufgesetzt, Phantasiekapital zu erzeugen wie zum Beispiel durch Immobilienkredite an mittellose Schuldner.
Doch das Aufpumpen von Blasen und das Ausquetschen von vitalen Bedürfnissen kommt auch an seine Grenzen. Zudem schläft die Konkurrenz nicht. Fatal, wenn man bei der auch noch Energie und unverzichtbare Waren wie Platinen einkaufen muss. Ganz dumm, wenn man dann auch noch meint, man käme ohne die Handelspartnerschaft aus, die einem jahrzehntelang genützt hat, und z.B. die EU verlässt.
In UK hat die neoliberale Religion die eifrigsten Jünger, mithin die inkompetentesten Verwalter der Krise. Nur unter diesen gibt es noch solche, die ernsthaft an Trickle-Down glauben und sprichwörtlich zu dumm sind, aus dem Fenster zu gucken. Die Zeiten sind vorbei, da man völlig ungeniert die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer machen kann. Nicht bloß, weil das auf der Straße explodiert, sondern, weil das Kapital längst andere Strategien fährt.
Voll im Trend
Es geht ökonomisch schon lange nur mehr darum, irgendwie noch mehr Geld auf die großen Haufen zu schaufeln und dafür vermeintlich gute 'Gründe' zu finden, damit sich die Kannibalen nicht gegenseitig fressen. Politisch geht es nur mehr darum, irgendwie die Ordnung aufrecht zu erhalten, mithin einen dauernden Ausnahmezustand. Der Krieg mit Russland ist ein Mittel dazu.
Liz Truss wäre in anderen Zeiten eine heißgeliebte Nützliche Vollidiotin gewesen. Ihr Vorgänger war noch so einer, der Superreiche wortwörtlich heiligsprechen wollte. Aber diese Zeiten sind vorbei. Es braucht wieder einmal starke Männer mit einem direkten Draht zum Kapital und der Fähigkeit zu erstklassiger Demagogie. Woher kenne ich das nur?
Oktober 16th, 2022 at 20:59
`… damit sich die Kannibalen nicht gegenseitig fressen…` Ein Kapitalist schlägt tausend Kapitalisten tot.` Richtsch, Herr Dr. M. … Wo ist Dr. Freud wenn man ihn braucht… Seh nix rationales mehr hier…
Noch ne Folge Der Kommissar dann is Feierabend …
Oktober 16th, 2022 at 22:09
Und da draußen, in der Türkei … was machen wir da? Farbenrevolution? Kemalisten päppeln? Tragischer Unfall?
Oktober 17th, 2022 at 17:53
Patrick Lawrence bestaunt, wortgewandt wie immer, die Scherben der US-Politik:
There is the matter of Joe “Nobody fucks with a Biden” Biden (and what a polished president is he). I can’t decide if he is a schlemiel or a schlimazel — as a Yiddish-speaking friend explains it, the guy who knocks over a bottle of wine at table or the man into whose lap the wine spills. After following Joe’s years in the Senate and not quite two in the White House, I surrender: He manages to be both.
Letztlich wiederholen sie ja dort auch nur die Fehler des UK – nur freilich 'auf erweiterter Stufenleiter'. United in delusion.
Oktober 17th, 2022 at 20:00
Over 330,000 excess deaths in Great Britain linked to austerity, finds study
More than 330,000 excess deaths in Great Britain in recent years can be attributed to spending cuts to public services and benefits introduced by a UK government pursuing austerity policies, according to an academic study.
The authors of the study suggest additional deaths between 2012 and 2019 – prior to the Covid pandemic – reflect an increase in people dying prematurely after experiencing reduced income, ill-health, poor nutrition and housing, and social isolation.
Previously improving mortality trends started to change for the worse after austerity policies introduced in 2010 when tens of billions of pounds began to be cut from public spending by the Tory-led coalition government, the study said.
The study, published in the Journal of Epidemiology and Community Health, found there were 334,327 excess deaths beyond the expected number in England, Wales and Scotland over the eight-year period.
Oktober 18th, 2022 at 12:50
Schöner Satz zur Sozialdemokratie: "Es ist eine Kunst, die beim Aufstieg in der Gewerkschaftsbürokratie früh gelernt wird, nur das Genehmigte zu denken, die Fähigkeit zur Erkenntnis stählern einzuhegen".
Oktober 19th, 2022 at 11:30
BBC prepares secret scripts for possible use in winter blackouts
The BBC has prepared secret scripts that could be read on air if energy shortages cause blackouts or the loss of gas supplies this winter.
The scripts, seen by the Guardian, set out how the corporation would reassure the public in the event that a “major loss of power” causes mobile phone networks, internet access, banking systems or traffic lights to fail across England, Wales and Scotland. Northern Ireland would be unaffected because its electricity grid is shared with the Republic of Ireland. [..]
Ich habe noch einen Kurzwellenempfänger aus den Siebzigern rumstehen. Der kann mit acht Monozellen oder einer Autobatterie gespeist werden.
Sollte man vielleicht das Morsealphabet üben?
_._. __._
Meanwhile in France: Streiks weiten sich aus – Ausschreitungen in Paris
Oktober 21st, 2022 at 00:15
Via fefe: Adam Curtis on the fall of the Soviet Union's worrying parallels with modern Britain (yt, 44 Min.)
Sehr gute Analyse der aktuellen Geschehnisse in gb, wie ich finde.
"They don't know what they're doing. We – the journalists – don't know what we're doing."
Oktober 21st, 2022 at 16:17
James O'Brien fasst die Lage zusammen. Ich mag seine Rants.
Oktober 21st, 2022 at 16:57
Nett beschrieben und so zutreffend für jene Charaktere, die sich heute als ihr Volk repräsentieren. Oder so. Trump, Johnson, Truss, Anjatanja … sie werden noch dafür bejubelt, dass sie neben die Schüssel kacken, weil uiuiui, die trauen sich was!
Oktober 21st, 2022 at 21:16
"Sollte man vielleicht das Morsealphabet üben?"
Ein Vorsatz der mutigeren Art, findet einer, der's mal versucht hat.
Auf jeden Fall ist es eine gute Idee, derartige Technik stehen zu haben und betriebsbereit zu halten. Wer noch nicht hat: Alles, was Grundig heißt, bis etwa 1983 gebaut wurde und so groß wie schwer ist, kann bedenkenlos empfohlen werden (findet einer, der's immer noch versucht).
Oktober 21st, 2022 at 21:52
@flatter #9 – Ich warte ja bei vielen aus dem 'erweiterten Bekanntenkreis' auch darauf, dass sie mal was merken. Bei der Nordstream-Geschichte dachte ich, jetzt müsse es doch eigentlich mal so weit sein. Aber nein, auch das schien ihnen glatt runter zu gehen. Nicht einmal Zweifel, bei denen man hätte einhaken können.
Oder sowas: Großer Sieg für's Klima. Ganz prima. Aber wieder kein Gedanke daran, wie das gehen, wie das aussehen soll. Wie wollen wir unsere höchst abhängigen Industriegesellschaften konkret entwöhnen? Wie wollen wir das wirtschaftlich, politisch, sozial gestalten? Einfach noch einen Haufen frommer Wünsche neben die Schüssel setzen und ansonsten die alten 'Sachzwänge' weiter walten lassen?
Und noch einer: zur Begrenzung der Gas- und Strompreise werden auch hier die schönsten magischen Beschwörungsformeln aufgerufen wie ein 'Rechtsvorschlag zur Operationalisierung des Marktmechanismus' oder ein 'befristeter dynamischer Preiskorridor' – und irgendwo mittendrin der Knüller 'ohne Änderung der Merit-Order'. Aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.
Alles nur noch eine einzige Bullshit-Parade. Es ist Folter, das bei vollem Bewusstsein ertragen zu müssen. Prost!
Oktober 21st, 2022 at 22:06
@Götz: Inzwischen gibt es diese netten kleinen SDR-Empfänger ab ~25 Euro. Geschmacksprobe z.B. hier: KiwiSDR List
Was ich auch recht interessant finde, ist LoRaWAN
@Peinhart: Auf die Gefahr, dass ich dir dann 44 Minuten schulde…Hör dir mal Adam Curtis an.
"Wie wollen wir das wirtschaftlich, politisch, sozial gestalten?"
Sozial gar nicht. Genau dafür haben die Grünen. Sie werden über Leichen gehen, was aber nicht auffallen wird. Wenn du an Armut 10 Jahre früher ins Gras beißt, dann macht das nix und niemand ist schuld außer du selbst.
Oktober 22nd, 2022 at 14:14
Der war auch noch schön:
"Der Sturz der britischen Premierministerin zeigt, dass die Globalisierung lebt – und mit ihr die segensreiche Wächterfunktion funktionierender Märkte."
(Teaser zu einem Kommentar in der Onlineausgabe des Spiegels am Freitag)
Oktober 22nd, 2022 at 14:21
Schön immerhin, dass sie in einen grundehrlichen, nämlich religiösen Ton verfallen. "Segensreich". Heilig. Gott Markt lenkt.
Die Mittelschichtsblase ist derweil eine typische, betreffend eine Minderheit, die sich für so etwas wie Informationselite hält. Sie schauen nicht nur die Tagesschau (ARD), nein, auch Lanz (ZDF). Country UND Western.
Die Mehrheit guckt und liest längst woanders. Viele holen sich, was sich gut anfühlt, andere versuchen, die Welt zu verstehen. Wenn die Welle über die Mittelschichtsherrlichkeit hinwegfegt, sind ihre Anhänger die Letzten, die sie kommen sehen.
Oktober 22nd, 2022 at 16:25
@Rainer – Done. Durchaus interessant. Was er über den 'überzogenen Individualismus' des Westens sagt, erinnert mich an die Ausführungen von John Ralston Saul zum Konzept 'citizenship', wie zB hier oder auch hier ausgeführt. Ich würde vor allem ersteren empfehlen, weil dort – obwohl es vordergründig um Kanada geht – auch die von Curtis eher verworfenen Konzepte von Natur und Kultur wieder integriert werden.
Ich würde das was uns plagt daher auch nicht Individualismus nennen, sondern eher Atomismus, ein Konzept, das eben keinen Individualismus, sondern eine amorphe, nicht (mehr) kommunizierende Masse bezeichnet, ein Konzept mithin, was für meine Begriffe durchaus wieder mit einem Faschismus des einen Prozent kompatibel ist. Wirklicher Individualismus ist ohne den (empathischen) Bezug auf den anderen eben gerade nicht möglich.
Oktober 22nd, 2022 at 16:32
Wenn die Welle über die Mittelschichtsherrlichkeit hinwegfegt, sind ihre Anhänger die Letzten, die sie kommen sehen.
Genau das ist es, was ich in besagtem 'erweiterten Bekanntenkreis' zunehmend fasziniert beobachte. Ihnen blasst kein Schimmer, und ihre erste Sorge ist tatsächlich, dass ihnen nur 'seriöse Quellen' in's Haus kommen. Alles andere würde sie ja auch nur beunruhigen. Es sind Idioten im klassisch griechischen Sinne.
Oktober 22nd, 2022 at 17:58
Der Clou ist ja, dass ich die atlantischen Medien nicht für seriös halte und dort mit Propaganda zugemüllt werde, es aber für völlig selbstverständlich halte, diese zur Kenntnis zu nehmen. Von daher kannst du jedem eine hinreichende Medienkompetenz absprechen, der Informationen aus Quellen ausschließt, die er für unzulänglich hält. Diese geht on top gern damit einher, auf jede Plausibilitätsprüfung zu verzichten und ohnehin in Unkenntnis historischer Entwicklungen zu filtern.
Oktober 22nd, 2022 at 20:32
@Peinhart: Vielen Dank für deine kurze Einschätzung. Natascha Strobl meinte neulich (grob zitiert): "30 Jahre Neoliberalismus und jetzt wundert man sich, dass sich die Leute nicht lieb haben."
Oktober 23rd, 2022 at 12:21
Wenn die Welle über die Mittelschichtsherrlichkeit hinwegfegt, sind ihre Anhänger die Letzten, die sie kommen sehen.
Und dann in ihrem Furor, aber sofort ihre wie auch immer gefärbte Uniform in Empfang nehmen, um sofort als KZ Wächter zu Diensten zu stehen, sobald der Richtige_am_Ruder© die Schuldigen ausgemacht hat.
Oktober 23rd, 2022 at 12:26
Das sehe ich dezent anders. Es gibt sicher eine Schnittmenge, aber die Wegducker und Getreuen des Narrativs sind nicht dieselben wie die revolutionären Faschisten. Sie sind eher die Pflichttuer, die in der zweiten oder dritten Reihe dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hat.