moral


 
zara

Kann man sich einen Meinungsaustausch vorstellen, der auf Moral und emotionalisierende Appelle verzichtet? Wohl kaum. Der Wissenschaftliche Diskurs, sofern er sich – was man im Betrieb wahrlich auch nicht durchgängig vorfindet – an die eigenen Regeln der Wissenschaftlichkeit hält, ist der Disput eben um das, was ist, was möglich ist, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Darin besteht das Ziel des Austauschs.

Bei entsprechend strenger Auslegung der Regeln ist gesichert, dass vor allem stets geklärt ist, worin der Gegenstand der Betrachtung besteht, was es über ihn zu wissen gibt und was nicht. Es darf in diesem Diskurs keinen Vorteil versprechen, eine Beschreibung der Realität gegenüber einer andern vorzuziehen oder abzulehnen, und emotionale Prioritäten haben darin schon überhaupt nichts zu suchen. Wo derartiges auch nur toleriert wird, ist der wissenschaftliche Erkenntnisprozess am Ende.

Ereignis, Erkenntnis, Glaube

Produkte, die aus solchen Strukturen hervorgehen, können dann ggf. noch auf dem Meinungsmarkt verklappt werden, schlimmstenfalls entstehen sogar Zweige nur so genannter Wissenschaft, die nur darauf ausgerichtet sind, zumal in 'Geisteswissenschaften', in denen es als "Forschung" gilt, Texte auf Basis von politischen Glaubenssätzen zu produzieren. Ihnen ist gemein, dass sie entweder schon nicht falsifizierbar und damit hinfällig sind, oder sogenannte Wahrheiten behaupten, die sich nicht reproduzieren lassen. Insofern liefern sie eben statt Erkenntnissen selbst nur Meinungen.

Der Journalismus hatte sich – zumindest in seinen ideologischen Selbstbeschreibungen – Regeln auferlegt, die der Wissenschaftlichkeit ähnlich und an diese angelehnt sind. Im Fokus dieser Regeln lag vor allem das Berichten und Beschreiben von Ereignissen, die Wahrhaftigkeit und Prüfbarkeit der Reportage. Man kann also sagen, dass ein Journalismus der höchsten Qualitätsstufe dem Ereignis so viel Respekt zollt wie die Wissenschaft der Erkenntnis. Meinung und die mit ihr transportierte Moral – ebenso wie umgekehrt – machen solche Qualität zunichte und verkehren das Bemühen in sein Gegenteil.

 
ss

Die Polarisierung durch Moral steigert sich in der Massengesellschaft zur reinen Waffe. Da sie das Innen und Außen markiert, strikt zwischen zwei Werten entscheidet, deren Bestimmung durch keine Rationalität eingeschränkt ist, Emotionen schürt und spontane, unreflektierte Reaktionen hervorruft, macht sie das in einer durch hoch getaktete Massenmedien geprägte Kommunikation zu einem Instrument stetigen Pogroms. Die Verstärkung durch Medien, die Profite erzielen müssen und daher schon selbst auf das Erzählen von emotional aufgeladenen Geschichten angewiesen sind, tut ein Übriges.

Engt sich dann noch der Diskurs ein, indem eine Ideologie die Oberhand gewinnt, sinkt das Niveau der öffentlichen Kommunikation auf das eines aufgescheuchten Mobs auf der Suche nach Abweichlern. In Kriegszeiten kommen Wahrheit und Vernunft daher nicht zufällig zuerst unter die Räder, weil die vermeintliche Existenz eines Feindes alle diejenigen Projektionen loslässt, die älteste menschliche Hordeninstinkte ansprechen. Das da drüben ist dann das Monströse Übernatürliche, das im Gegensatz zu solchem göttlichen Ursprungs nicht besänftigt wird, sondern angegriffen und überwältigt werden kann: Der Feind.

Viel Feind, viel Teufel

Der Feind ist die Verschmelzung des Teufels mit denen, die nicht dazugehören. Das Feindschema fällt noch hinter die Kultur des Sündenbocks zurück, in der immerhin keine Menschenopfer mehr stattfinden. Krieg und Feindrecht bringen die Kultur als solche an den Rand ihrer Wirksamkeit. Vergewaltigen, plündern, foltern, morden sind dabei immer auch eine Erinnerung daran, dass die Subjekte in der Zivilisation Unterworfene sind und sich die sprichwörtlich entfesselten Triebenergien bei solchen Gelegenheiten eben entladen. Freud hat dazu in "Das Unbehagen in der Kultur" viel Richtiges gesagt.

Die Narrative der Kriegspropaganda sind nicht wirklich ein Extrembeispiel, sondern eher die Essenz des Einsatzes von – immer moralisch aufgeladenen – Narrativen in der öffentlichen Kommunikation. Emotionen bringen Einschaltquoten und Klickzahlen, und selbst völlig fiktionale Formate wie Liebesgeschichten werden mit moralischen Verstärkern ausgestattet. Man findet diese schon in den Kitschromanen vergangener Jahrhunderte, in denen der ehrbare Geliebte sich gegen den Schurken an der Seite der Liebsten bewähren muss, aber ebenso in mit vermeintlichen Tabus ausgeschmückten Geschichten 'verbotener' Liebe in Serien oder Filmen bis hin zur Pornographie.

Die Tragödie der Auserwählten

Moral ist spannend, geil und attraktiv. Sowohl der Verstoß als auch das Befolgen ihrer Regeln – und hier besonders der Einforderung gegenüber Dritten – erregen Aufmerksamkeit und binden den Rezipienten an die Geschichte. Spätestens seitdem "Storytelling" zu einem der, wenn nicht dem wichtigsten Element der Nachrichtenproduktion geworden ist, haben Narrative eine erhebliche Macht über die Gesellschaft.

Da in ihnen stets festgelegt ist, wer die Guten sind und wer die Bösen, haben sie in der modernen Massengesellschaft eine sehr ähnliche Funktion wie das antike Theater. Das geht quasi so weit, dass noch die lächerlichste Figur in Regierungsdiensten ernst genommen werden muss. Für die gekrönten Häupter ist die Tragödie das Medium. Für die niederen Chargen, und nur für sie, gibt es die Komödie.

Ein plapperndes Fräulein, das angesichts des drohenden Atomkriegs Hüpfspiele im Atombunker macht? Der 'mächtigste Mann der Welt', der als ersichtlich dementer, desorientierter Greis noch einmal für das Amt antritt? Darüber spricht man nicht, wenn es eben hohe Minister oder Präsidenten sind. Es sei denn, selbstverständlich, sie wären Feinde. Die sind grundsätzlich so lächerlich wie böse, brutal und verschlagen. Wenn man es recht bedenkt: So zivilisiert ist die Zivilisation nicht wirklich, und der moralische Kern ihrer überkommenen Struktur ist nicht zu leugnen.

 
ss

In politischen Betrachtungen wird meist auf Herrschaft fokussiert, was der Erkenntnis einen Mühlstein um den Hals bindet und sie von der Brücke stürzt. Damit zieht erstens der Idealismus in die Betrachtung ein, der eine Welt aus Willen und Vorstellungen halluziniert, und zweitens werden die schwächsten wirksamen Kräfte zu Ungunsten der deutlich stärkeren als die buchstäblich entscheidenden betrachtet.

Ordnungen lassen sich aus bestimmten Ansichten sinnvoll als Herrschaftsformen betrachten; sie sind aber nur ein Aspekt unter vielen, die eine Ordnung und ihr Funktionieren beschreiben. Gerade im Spätkapitalismus wird deutlich, dass die Wirklichkeit der Menschen und ihrer Gesellschaften nicht allzu stark davon abhängt, ob ihre Verwalter gewählt, bestimmt, gekrönt oder an die Macht geputscht wurden. Ist die US-Oligarchie, die ausschließlich von Multimillionären repräsentiert wird, die von noch potenteren Geldgebern abhängig sind, wirklich demokratischer als China?

Regelbasiert

Ist die Zensur von Feindsendern in 'Demokratien' besser als in sogenannten "Diktaturen"? Ist der Vernichtungskrieg durch eine Demokratie besser als der durch eine Junta? Ist politische Justiz durch die Gesetze einer Demokratie schöner und gerechter? Stirbt es sich im Krieg für Freiheit wirklich heroischer?

Die Kräfte jeder gesellschaftlichen Ordnung werden nicht zufällig selbst im vermeintlichen Optimalfall "Gewalten" genannt. Am Ende der Nahrungsketten von Machtausübung stehen immer Knüppel und Gewehre. Inwieweit diese zum Einsatz kommen, bestimmt aber längst nicht die Laune eines Mannes am Ruder, sondern die Notwendigkeiten, die sich aus dem Selbsterhalt politischer Gebilde ergeben. Das hat nichts mit Ideologie oder ihrer Moral zu tun. Letztere ist bloß die sprachliche Garnierung von Regeln, die sich selbst schreiben.

Wie so oft, sei darauf hingewiesen, dass es kleine Zeitfenster gibt, in denen sich Ordnungen, Herrschaftsformen und Ideologien verändern. In diesen Zeiten, auch als "Revolutionen" bekannt, formieren sich gelegentlich neue Gesellschaften – die allerdings in der Regel auch auf neuen ökonomischen Bedingungen beruhen. In Umwälzungen und Übergangsphasen geht es auch ohne Ideologie, dann etablieren sich Clanstrukturen und die Herrschaft von Warlords, die im größeren Maßstab Tyranneien sind.

Ethik vs. Moral

In dieser Formation verbindet sich quasi organisch die örtliche Gewalt mit einer Variante natürlicher Ordnung. Sie ist gemeinhin instabil, weil sie durch ein Übermaß an Gewaltausübung keine dauerhafte Zustimmung findet, und weil das Recht des Stärkeren eben dazu führt, dass Letzterer immer wieder ein anderer ist.

Herrschaft braucht Moral, um zu überdauern, denn sie zielt nicht darauf ab, die Interessen möglichst reibungsarm zu organisieren. Sie ist immer die Organisation der Interessen weniger, die eben über die Ressourcen dazu verfügen. Im Kapitalismus ist es der kumulierende Reichtum, dessen Eigentümer im Gegensatz zum Prinzip der Oligarchie austauschbar sind.

Die durchsichtige Ungerechtigkeit dieser Herrschaft muss durch Moral (und ihre Religionen) gerechtfertigt werden. Ethik braucht diese nicht, weil sie die Wissenschaft genau jener Ordnung wäre, die die Interessen aller im Sinne gesellschaftlicher Stabilität organisiert.

 
ss

Die Kurzanalyse für Deutschland vorweg: Wie so oft, bestrafen vor allem die Einfältigen und Senilen ihre Regierung, indem sie dasselbe von den anderen Bänken wählen. In Kriegszeiten umso lieber diejenigen, die nie für etwas Anderes standen als "Weiter so!". Dies waren vor allem Rentner.

Osten und Arbeiter wählen 'dagegen', AfD und BSW, die mit traditionellen Werten kommen. Jugend wählt am liebsten 'ganz anders'. Es ist erkennbar, dass viele die Schnauze voll haben. Gegen die Internationalistische Front ist aber kein Kraut gewachsen. Sie sind Atlantiker, mithin Vasallen der USA, postmodern, mithin pseudowoke, postfeministisch und gleichgerichtet. Die extreme Mitte halt, die glaubt, sie könne Werte beliebig an- und abschalten.

Alles neu

Krieg ist dann Frieden, Abschieben ist Antirassismus und Kritik an Massakern, begangen durch eine ungeheuer brutal agierende Regierung Israels, ist Antisemitismus. Wer nicht für sie ist, ist rechts. Oder halt auch mal zu links, wenn das opportun erscheint. Allemal nützen sie alle nur dem Bösen, wenn sie andere Vorstellungen von Außenpolitik haben. Wie gesagt: Anstelle traditioneller Werte herrscht die Beliebigkeit der Mitte und ihrer Medien.

Am Ende wird sich der Verlust traditioneller Werte ideologisch fatal auswirken. Der Kitt im Klassengegensatz, nicht zuletzt in Deutschland, hatte seine Basis in religiösen Werten, die erstens schichtübergreifend galten und zweitens in Form der Arbeitsethik die wichtigste Basis der Bescheidenheit einer schon lange nicht mehr am 'Wachstum' beteiligten Arbeiterklasse sicherstellte. Wo diese wegfallen, löst sich der Konsens auf.

Rechts raus

Die Reaktionen darauf sind nicht minder kontraproduktiv, wo ein Konglomerat aus Nationalen, Ausgebeuteten und Traditionalisten als rechtsextrem markiert und als antidemokratisch bekämpft wird. Damit schafft sich die Funktionselite durch ihre Moralisierung eine stabile und nicht mehr erreichbare Gegnerschaft – und zwar in einer Masse, die es als Systemopposition so seit Jahrzehnten nicht mehr gab.

Zwar ist diese Gruppe äußerst heterogen, aber da alle, die für ihr zugehörig befunden werden, in Acht und Bann stehen, gefährdet das System ideologisch seine eigene Existenz. Sollte sich dann noch herumsprechen, dass auch ökonomisch für die Mehrheit dauerhaft kein Platz mehr am Tisch ist, ist das Pulverfass perfekt. Die Nationalisten aller Länder sind längst bereit zur Übernahme. Dann werden wir sehen, was wirklich rechts ist.

 
xx

Je nach Region, Autorität und Bevölkerung wurden Sünden gegen die Sexualmoral unterschiedlich behandelt. Vor allem mit der Entwicklung hin zur Moderne wurde der Umgang toleranter, die meisten Vergehen verschwanden aus den Gesetzbüchern und die Tendenz ging eindeutig in Richtung einer liberalen Handhabung. Interessanterweise hat sich aber Sexualität nie von Moral gelöst, ebenso wenig wie umgekehrt.

Das betrifft nicht nur Verbrechen und konkrete Vergehen, sondern auch und gerade die Grundausrichtung der Kulturen und Subkulturen. Der Spontispruch: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" ist zwar keineswegs frei von Ironie, aber er bringt eine typische Umkehrung zum Ausdruck, die die Strukturen nicht verlässt, sondern lediglich eine Umwertung vornimmt. Das einstige Treuegebot stellt in der Peergroup dieselbe jetzt unter Verdacht. Treue ist reaktionär und etwas für Versager.

Vom Sünder zum Täter

Die ’Befreiung’ der Sexualität, die ohne Verzögerung in ihre Vermarktung überging, war zumindest mit einem latenten Druck verbunden. Vor allem aber konnte sie sich selbst an der Oberfläche nicht vom Bezug auf Moral und das Treuegebot lösen. Das Phänomen blieb dabei ein urbanes, insbesondere in akademischen Kreisen. Auf dem Land hat sich diese Ideologie nie durchgesetzt; sie wäre auch mangels Angebot und ob der Notwendigkeit des Dorffriedens nicht realisierbar gewesen. Zudem ist die ländliche Kultur viel stärker von christlichen Original geprägt und beeinflusst.

Im Übergang zum 21. Jahrhundert stellte sich in den liberalen Kreisen eine weitere Umwertung, sprich: Umkehrung ein. Die liberale akademische Mittelschicht, die die entsprechenden politischen und vor allem Medien schaffenden Kreise beherrscht, hat die christliche Sexualmoral Komplett auf den Kopf gestellt und sich ursprünglich klerikale Herrschaftstechniken zu eigen gemacht: Sprachregelungen, Regelungen der Verschriftlichung, Verwalten der gültigen Wahrheit.

Dabei hat sie die alte Hierarchie der sexualmoralischen Werte nicht etwa überwunden, sondern schlicht auf den Kopf gestellt. Zunächst ist es die Frau, die aufgewertet und über den Mann gestellt wird. Grundlage solcher Umwertungen ist stets ein Täter-Opfer-Verhältnis, das der sexualisierten Moral zugrunde liegt. Anstatt das alte Herrschaftsverhältnis durch ein partnerschaftliches zu ersetzen, wurde es eben auf diese Art nur umgekehrt. Der Geschlechtsakt ist selbst außerhalb der Ehe keine Sünde mehr, aber stets eine potentielle Vergewaltigung.

 
xx

Es nimmt nicht wunder, dass Religiosität und die Jahrhunderte alten Religionssysteme nach wie vor großen Einfluss haben auf Politik, Kultur und Medien. Als Machtmittel ist Religiosität extrem mächtig; die schwerreichen Kirchen und ihre trotz stärkster Erosion noch zahlreichen Mitglieder sind zudem Institutionen, die ihrerseits über Macht verfügen. Keine politische Partei könnte es sich leisten, offen gegen die Kirchen vorzugehen. Selbst der Staat hätte kaum die Macht dazu.

Wenn es aber darum geht, vorhandene Macht zu stärken, nutzt man solche Strukturen klugerweise – was immerhin rationales Handeln ist. Die Resultate sind freilich das Gegenteil. Zwar glauben die Menschen nicht mehr an Himmel und Hölle, womit die stärkste psychologische Macht der Kirchen gebrochen ist, die nämlich über das Gewissen der unvermeidlich Sündhaften. Sie bleibt aber subtil vorhanden als eine Moralproduktion, die sich verfeinert und ausgeweitet hat.

Sünde, Hölle, Böse

Selbst die Kirchgänger, die nicht einmal an Gott glauben, sind für solche Appelle zugänglich. Irgendwoher muss das Gute ja kommen, und auch wenn es keine Hölle und keinen Teufel gibt, so eben dennoch das Böse, verkörpert von bösen Menschen, die von der jeweiligen Herrschaft markiert werden.

Die Kirchen wissen ihrerseits um das Problem schwindender Mitgliederschaften und eigentlich fehlender Legitimation. Dass es ihnen gelingt, ihre unsäglichen Massenvergewaltigungen zu bagatellisieren, ist nicht nur faszinierend; es deutet auch darauf hin, dass sie nach wie vor eben die Macht dazu haben. Eine moralisch aufgeladene Politik kann die Kirchen sehr gut gebrauchen, ebenso ist es umgekehrt. Im Kern geht es dabei selbstverständlich um Autorität.

Nimmt man die beiden großen Kirchen in Deutschland zum Beispiel, so hat man es bei der katholischen mit einer Art Diktatur zu tun, deren alternativlos männlicher Boss ganz offen Unfehlbarkeit reklamiert. Die evangelische ihrerseits ist in ihrem Anspruch von Autorität, die sie auf jeder Ebene als unbedingt betrachtet, noch strenger. Erst 1984 konnte sie sich dazu durchringen, die Autorität gewählter weltlicher Amtsträger anzuerkennen, die ihnen als solche bis dahin ganz offiziell nicht würdig erschienen.

Für Gott und das Gute

Eine tragende Säule der Reformation und ihrer Hauptkirche war ursprünglich die gewesen, von ihren Schäfchen die unbedingte Unterwerfung unter die Autorität der Fürsten zu fordern. Das war quasi der Deal, mit dem letzteren die Abkehr von der römischen Kurie schmackhaft gemacht wurde. In Zeiten weltanschaulicher Unsicherheit ob der Ablasskrise, Bauernaufständen und Kriegen war ein Mittel, die Untertanen sprichwörtlich auf die Knie zu zwingen, unerlässlich. Der Kniff, mit dem Wegfall der Beichte bei nach wie vor drohender Hölle die Gnade von Gehorsam gegen weltliche Autoritäten abhängig zu machen, stabilisiert das System auf dieser Ebene – übrigens sowohl das feudale als auch das bürgerlich-kapitalistische.

Auf diesem Niveau ist Politik wieder angekommen, wo die Pietisten, Moralphilister und Kriegshetzer der Grünen die aktuelle Ideologie in vorderster Front besorgen. Die Bigotterie dieser Klientel ist nicht zu überbieten; während sie sich einerseits als Schutzmacht der Minderheiten inszenieren, zeigen sie weder Ekel vor den Mafias der Kinderschänder noch vor dem heiligen Massenmord für die Interessen des westlichen Kapitals.

 
xx

Nur Moral ist in letzter Konsequenz dazu fähig, Menschen völlig zu entwerten und ihnen das Lebensrecht abzuerkennen. Dass es Gesetzeswerke gibt, in denen die Todesstrafe vorkommt, muss daher als Einfluss überkommener Moral betrachtet werden. Dass in den USA etwa Schwarze noch immer wesentlich häufiger zum Tode verurteilt werden, ist kein juristisches Phänomen.

Es ist Rassismus, der dem moralischen Nihilismus folgt. Dieser braucht nicht einmal Handlungen, um Menschen zu verurteilen. Es reicht eine Hautfarbe, Nationalität oder Religion. Juden, "Orks" und "Nigger" sind keine Menschen für diejenigen, die sie zu Freiwild erklären. In bürgerlichen Gesellschaften gerät verfasstes Recht regelmäßig mit Moral in Konflikt.

Eifer vs. Eifer

Antidiskriminierungsgesetze sind hier u.a. eine Brandmauer gegen moralischen Eifer, in denen sich paradoxerweise ein neuer Eifer einschleicht, der wiederum das Gute per Gesetz verankern will. So sollen immer mehr Gruppen vor (letztlich moralischer) Diskriminierung geschützt werden, dabei schießt aber die neue Moral gern übers Ziel hinaus und gerät aus vermeintlichen Schutzbemühungen in Konflikt mit allgemeinen Freiheitsrechten.

Spätestens in Kriegszeiten erweist sich jede Zivilisation als anfällig für moralischen Nihilismus. Obwohl die Methoden der Propaganda seit mindestens einhundert Jahren bekannt sind, obwohl die Welt allein am Beispiel des Nationalsozialismus hätte lernen können, wie moralischer Nihilismus, die ideologische Entwertung von Menschen und ganzer Völker, wirkt, fällt sie immer wieder zurück auf dieses Niveau und sieht im 'Feind' nur mehr das Böse, das vernichtet werden muss.

Vernunft und ihre Kernkategorie, die Wahrheit, gehen sprichwörtlich als erste verloren und der Eifer übernimmt. Nüchterne Überlegung, Objektivität und ernste Überprüfung der widerstrebenden Interessen kommen dann nicht mehr zum Zuge. Es herrschen Empörung, Projektion, Diskriminierung und am Ende Vernichtungswille. Das Gute kämpft gegen das Böse. Jeder Krieg ist eine Art Armageddon.

Dein Wille geschehe

Dem liegt eine nach wie vor durch und durch religiöse Grundhaltung zugrunde, von der sich die Menschheit, selbst, wo sie sich als aufgeklärt betrachtet, nicht hat lösen können. Gott mag tot sein, aber an seiner Stelle wurschtelt sein Ebenbild munter weiter.

Die Welt und das Leben werden noch immer allgemein als Ergebnis von Willensentscheidungen betrachtet, persönliche wie kollektive. Man könne die Welt verändern, wenn man nur wolle, ist die naive Vorstellung, die in Moral gerinnt. Humanismus sei das Ideal und das Ziel. Tatsächlich ist es der Grundirrtum. Humanismus ist nichts anderes als die Umformung des göttlichen Willens in den menschlichen.

 
pn

sind vor allem Feinde. Ein toter Feind ist ein guter Feind. Punkt. Es gibt ohnehin keine Bomben, Granaten oder Raketen, die Kinder leben lassen und Erwachsene töten. Was ist Krieg? Krieg ist Massenmord als Mittel der Politik. Wen interessiert es, wie viele Kinder dabei draufgehen?

Die Appelle mit dem Inhalt "Aber die Kinder" sind derweil nicht einfach dumm. Sie sind kontraproduktiv. Warum? Weil sie in einer Kette wirksamer Kommunikation stehen, an deren Ende die Zustimmung zum großen Morden hängt. Niemand stoppt einen Krieg, weil Kinder sterben, aber alle halten ihn für gerecht, weil Kinder sterben.

Minibabys total zerstört

Die übelste Greuelpropaganda arbeitet am liebsten mit Kinderopfern. Gern Leichen, aber besser noch lebend, leidend, mit großen Kulleraugen. Bilder von toten Säuglingen sind schwer zu kriegen, oft unglaubwürdig und versauen die positive Stimmung. Daher optimal, aber im Grunde verbraucht: Die Story von Brutkastenbabys (krasser geht es nicht mehr), auf dem Boden zerschmettert. Glückwunsch, Hill & Knowlton, das war noch deutlich besser als echt.

Überhaupt nicht zufällig plappert Anjatanja auch ständig von Kindern – denen, die von Russen gesprengt werden und denen, die "die NATO wirklich mögen". Es ist der dreckige Bodenbelag unter der letzten Schublade, aus dem das kriecht. Wer Krieg mit Kindern in Verbindung bringt, ist dumm, impertinent und betreibt das Geschäft der Kriegspropaganda. Bei der Gelegenheit: Schon die Geschichte der "unschuldigen Kinder" und Herodes, dem Putin der Bibel, war gelogen.

Sehr hilfreich

Ja richtig, daher ist es vollkommen egal, wer in welcher Absicht dieses Pik As zieht; es hilft nur den Kriegstreibern, den Lügnern, den Mördern. Nehmen wir zum Beispiel die blöde Frage, ob so und so viel angeblich getötete Kinder eine kriegsstrategische Einschätzung im Nachhinein ändert.

Echt jetzt? Das Einzige, das alle daraus verlernen, ist der rationale Blick aufs Geschehen. An dessen Stelle treten Assoziationen, Emotionen, Moral und Rachedurst – auf allen Seiten. Fürs Geschäft mit der Aufmerksamkeit aber allemal probat. Glückwunsch!

 
ds

Wir haben Waffen geschickt. Wir haben mehr Waffen geschickt. Jetzt müssen wir unbedingt noch mehr Waffen schicken. Für den Sieg, für den Frieden, für die Freiheit, für die Kinder in der Ukraine. Wir müssen helfen. Mehr Waffen, die mehr Menschen töten – im Übrigen hauptsächlich auf der Seite derer, die sie abschießen. Das nennt ihr "Hilfe". Woher kenne ich noch gleich das Konzept?

Wenn die Todesstrafe keine Morde verhindert, brauchen wir mehr Todesurteile. Wenn Folter Terrorismus nicht eindämmt, muss mehr gefoltert werden. Wenn 'Härte' gegen Schuldige nicht hilft, muss sie gegen jeden Verdächtigen geübt werden. Christlicher Sadomasochismus und religiöse Allmachtsphantasien prägen die Atmosphäre aus Angst und Erregung.

Sadomasochismus

Daher rührt auch die Prüderie, die damit einhergeht. Sex ist Lustverlust. Die Spannung des Eifers steigt ins Unermessliche, wenn Triebabfuhr verboten ist. Der Blümchensex profitiert ebenso davon, weil alles nur noch geil ist. Ein Wunder, dass wir leben, wo der Tod überall lauert, wo der Kampf Gut gegen Böse ein ständiger Krieg ist, die wirren Hirne aufgeladen mit Phantasien von Gewalt und Untergang. Das Armageddon ist immer und überall.

Nun ist solcher Wahnsinn ein nettes Hobby; wenn damit aber Probleme bewältigt werden sollen, wird es wüst. Da Fanatismus keine Kompromisse zulässt, sucht sich das Schema Gut/Böse/Schuld/Sühne immer neue Opfer, die Einschläge des Bösen kommen dabei immer näher. Die Urheber dieses Wahns sind völlig unfähig, sich selbst als solche zu erkennen. Am Ende ist alles Feind, Tod, Vernichtung. "Last Man Standing" heißt das Spiel.

Endspiel

Genau so halten sie es auch mit dem Reichtum: Die reich sind, leisten etwas. Es ist ihr Geld, und selbst aus ihren toten kalten Händen wird es ihnen keiner nehmen außer den Erben ihrer Dynastie. Wer mehr hat, hat mehr verdient. Die protestantische, evangelische oder evangelikale Geschmacksrichtung des Schwachsinns hält das für gottgewollt. Gott kennt die Guten und belohnt sie.

Das ist das Schöne am Glauben: Er passt immer, denn was eigentlich nicht passt, ist dann halt eine Prüfung. Gut/Böse, Schwarz/Weiß. Der Hass, den sie damit säen, ist ansteckend. Ich stimme ihnen zu: Gebt ihnen mehr Waffen, gleich zu Weihnachten, und zwar allen, die keine Lumpenpazifisten sein wollen. Kämpft alle für unsere Freiheit, sonst nimmt der nächste Böse sich noch etwas, das ihm nicht gehört.

 
ef

Die junge Frau wird von Männern gern angeguckt und lässt sich gern sehen. Ihre Jeans ist extrem kurz, oben lugt ein Stringtanga hervor. Bauchfrei, knappes T-Shirt, kein BH. So betritt sie die Kneipe, und es dauert nicht lange, bis ein Mann an sie herantritt und sie fragt, was sie denn so vorhätte am Abend, wobei er ihr an den Allerwertesten fasst. Sie verabreicht ihm eine Ohrfeige.

Er brüllt sie an, was ihr einfalle. Sie kommt kaum zu einer Antwort, da hat sich schon die halbe Dorfstube um die beiden versammelt. "Schlampe!", ruft eine aus der zweiten Reihe. "Ja ganz recht, was bist du für ein Flittchen?", will ein Kerl wissen. Man macht ihr deutlich, dass so etwas nichts in ihrer Runde verloren hat, unverschämt, vulgär und unmoralisch. Untragbar.

Dieselbe Szene in einer Großstadt-Bar. Ein junger Mann packt sich den übergriffigen Typ, eine Frau schreit: "Drecks-Chauvi!" Die Begrabschte selbst legt noch eine nach. Man schleift das alte Schwein vor die Tür und wirft ihn in die Gosse. Er solle sich zu seinen toxischen Steinzeit-Kameraden trollen.

Toxische Schlampigkeit

Welche ist jetzt die richtige Moral? Die, die über Jahrhunderte dafür gesorgt hat, dass eine gewisse Sittlichkeit herrschte und Frauen wie Männer nicht öffentlich sexualisiert auftraten – wozu selbstverständlich auch aufreizende Kleidung und ebensolches Verhalten gehörten? Die Moral, nach der das Weib sich nicht zu beschweren hat, dass der Kerl sich nimmt, was sie ihm so provokativ darbietet?

Oder die neue Moral, nach der Frauen die Freiheit haben, sich zu kleiden, wie sie wollen, sich zu bewegen, wie und wo sie wollen, ohne dafür von Männern, die Frauen nur als Lustobjekte betrachten, belästigt zu werden? Die Moral, nach der das Verhalten des toxischen Cis-Angreifers als Vergewaltigung zu gelten hat?

Ein alter pädagogischer Sinnspruch sagt: Der Dumme fragt: "Ist es so recht?", der Kluge fragt: "Was passiert dann?" Moral ist unvereinbar mit Rationalität. Wo diese nach Ursachen und Wirkungen fragt, legt jene unabhängig von Umständen, Wirklichkeit und Perspektive fest, was gut und böse ist. "Richtig" und "falsch" der Moral widersprechen unmittelbar den logischen Kategorien.

Entweder oder

Rationalität enthält sich daher jedes moralischen Urteils. Sie betrachtet die Möglichkeiten des Verlaufs der Ereignisse nach Wahrscheinlichkeiten. Dazu orientiert sie sich selbstverständlich an den zeitlichen und örtlichen Begebenheiten, auf die Moral keinerlei Rücksicht nimmt. Realität ist fließend und veränderlich, Moral ist, einmal auf ihre Werte festgelegt, starr und unbeweglich.

Gerade, wo sie (ggf. angesichts übermächtiger Kräfte in der Wirklichkeit) sich flexibel versucht, zerbricht sie daher in die Absurdität des Mehrfachstandards. Moral, die für den einen gilt und den anderen nicht, hier ja, dort nein, offenbart ihre Sinnlosigkeit. Daher ist es angezeigt, auf sie zu verzichten, auch und gerade, wo man sich seiner 'moralischen Werte' sicher wähnt.

Ganz besonders gilt das für 'moderne' Moral, deren Begriff schon den Hinweis auf die Mode in sich trägt. Moral ist vergänglich, ihre eifrigen Verfechter gebärden sich aber regelmäßig wie die Hüter einer ewigen Wahrheit. Wohin man schaut, Paradoxie und Absurdität. Ihre ärgsten Feinde sind Rationalität, Vernunft und Logik.

Nächste Seite »