geostrategie


 
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Schinken der Hoffnung | Quelle: Pixabay

Etwa 27.000 Personen, so sagen es nicht ganz brandaktuelle Quellen, arbeiten für das Pentagon – damit die US-Armee und ihre politische Vertretung einen guten Eindruck in den Medien machen. Noch mehr arbeiten, wenn auch hier eher nachvollziehbar, zu diesem Zweck für das US-Außenministerium. Dann haben wir eben noch Think Tanks, die Clubs der Atlantiker und all diejenigen, die aus diesen Strukturen in die Medien selbst sickern.

Man muss sich nur anschauen, welche hochrangigen deutschen Journalisten dort geschult wurden, wenn sie irgendetwas mit Außen- oder Sicherheitspolitik zu tun haben. Kurzum: Das Medienkonglomerat, das am wertewestlichen Meinungskanon arbeitet, ist keine Verschwörung im Hinterzimmer, es ist eine Armee.

Geowas?

Gleichwohl erfahren wir von ihnen und den von ihnen wiederum rekrutierten Lohnschreibern nichts über Hegemonie, Geostrategie oder nationale Interessen. Letzteres kann man vielleicht noch verstehen, wurden diese doch äußerst erfolgreich durch das stärkste Machtmittel der USA untergraben: Ihre Macht über Medien und sogenannte (inzwischen meist von den USA als Staat finanzierte) 'NGOs'.

Zum Thema "Hegemonie" ist es ganz erstaunlich, dass Boris Johnson es sogar offen ausgesprochen hat, dass es im Ukraine-Krieg um die "westliche Hegemonie" geht, die "unwiederbringlich verloren" sei, wenn man ihn verlöre. Die Reaktion der Medien? Mir ist keine bekannt. Geostrategie, wie sie durch die USA in Reinform auf allen denkbaren Ebenen geplant und hemmungslos exekutiert wird, ist in Europa eine völlig unbekannte Vokabel.

Derart von keiner relevanten Realität beeinflusst, ist jede Basis der Diplomatie zerstört. Die Wahrnehmung der Interessen anderer – auch und gerade des Gegners, Rationalität, Kenntnisse gleicher und gegensätzlicher Interessen, ein Hinwirken auf gemeinsame Vorteile und das Vermeiden von Nachteilen, werden zugunsten einer kruden Erzählung von Freiheit®, Menschenrechten®, den Guten und den Bösen geopfert.

La Le Lu

Dabei ist die Erzählung der US-Neocons, die schon seit Reagan die Regierungen begleiten, seit den Zeiten von Wolfowitz und Cheney, bis hin eben zu Nuland, Blinken, Sullivan und Konsorten, so durchsichtig, dass einem der Kaffee gefriert. Aber sie haben eben die mediale Macht gebündelt, mit der sie jeden Stuss so lange wiederholen können, dass wenigstens der Kern der Mittelschichten daran glaubt.

Wo früher Diplomatie war, plappern heute Gestalten wie Borbeck aus einen Bunker unterhalb der Bodenlosigkeit. Während Infrastrukturen wie die NED (National Endowment for Democracy) und ähnliche philanthropische Mächte überall auf der Welt für Krieg und Chaos sorgen und dafür, dass gepäppelte Minderheiten gegen die Interessen der jeweiligen Bevölkerungen US-Interessen durchsetzen, erfahren wir hier nur mehr, was Held Selenski sagt und was Dämon Putin entgegen eigenen Worten wirklich in Echt denkt.

Übrigens wusste etwa der "Spiegel" 2008 noch, dass das Pentagon Meinung "gekauft" hat und nannte das Ergebnis "Pseudo-Journalismus". In Frühzeiten eines Journalismus wusste man auch noch, dass es auf Produktionskapazitäten, Ausrüstung, Entwicklung und strategische Aufstellung ankommt, um Machtverhältnisse einzuschätzen. Heute wird uns nur noch erzählt, wer angeblich was will und warum sich allein daraus ergebe, was politisch zu tun sei. Politik als Gutenachtgeschichte.

   
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Da der Drohnenkrieg sich der aufklärerischen Errungenschaft eines modernen Rechtssystems entledigt, kann hier sprichwörtlich jeder machen, was er will. Es sind ja nur ‘Maßnahmen’, die daheim als militärisch verbrämt werden, damit sie nicht dem Strafrecht unterliegen, das Verdächtige als Unschuldige bis zum Beweis des Gegenteils behandelt, und auf fremdem Territorium als eine Art Strafvollstreckung gelten. Es ist absehbar, dass dieses Vorgehen in Konflikte führt, die als kriegerisch betrachtet werden. Wo die Interessen von Atommächten davon betroffen sind, ist dieses Spiel geeignet, der Schöpfung die Krone vom Kopf zu blasen.

Ein politisches Korrektiv ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil. Ergänzt wird dieses Szenario durch eine schlicht infantile Haltung der Verantwortlichen in Europa, vor allem in Deutschland. Der Staat, dessen Exekutive in den vergangen Jahrzehnten für Dutzende Angriffsriege, willkürliche Morde, Folterung und den sehr gründlichen Abschied von einer aufgeklärten Rechtsauflassung verantwortlich ist, wird durchgängig als “Freund” apostrophiert. Dumm genug, dass ein Staat kein Freund sein kann und auch “Freundschaft” zwischen den Vertretern von Staaten bestenfalls irrelevant, wo nicht unmöglich ist, besteht in diesem kindlichen Konstrukt eines Verhältnisses die Unterwerfung des Grundschülers unter den Schulbully.

Der Freund

Wenn er befiehlt, marschieren wir. Seine Feinde sind unsere Feinde. Sein Urteil wird niemals in Zweifel gezogen. Was gestern noch galt, ist morgen hinfällig, wenn es ihm einfällt. Sein Kampf ist unser Kampf, sein Wohl ist unseres. Das ist kein Denken mehr, das ist blinder Gehorsam. Nun wird unser ‘Freund’ aktuell aber von innen angegriffen. Das Establishment, das bislang die Hierarchie angeführt hat, wurde ausgetrickst, und ein Unbefugter – Trump – hat den Platz des ‘Freundes’ eingenommen. Da es bislang eben kein Denken gibt, kein Mittel der Kritik, mit dem sich die Beziehung zu den USA im Narrativ beschreiben ließe, herrscht Hilflosigkeit. Selbst das Feindbild Russland/Putin kommt damit ins Wanken.

Letzteres ist der einzige Lichtblick des Ganzen, denn die Aufrüstung gegen die tödliche Atommacht hat bereits die Dimension einer konkreten Kriegsvorbereitung angenommen. Wenn man weiß, dass die transatlantischen Pläne im Kalten Krieg teils vorsahen, ganz Europa zu opfern, um den Sieg des Freien Westens® zu erringen, sollte man Angst haben. Fürwahr, wir leben in interessanten Zeiten.

Dezember 2016

 
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Wer versucht eigentlich, den sogenannten "Islamismus", insbesondere die Kämpfe im Nahen und Mittleren Osten, zu verstehen? Die einen nennen ihn "Terror" und nehmen ihn zum Anlass, Bürgerrechte zu vernichten und Menschen zu töten. Sie haben eine alliierte Medienlandschaft auf ihrer Seite, welche die Massen mit passender Propaganda zur Übernahme der Stereotypen bewegen. Für die so 'Informierten' sind Islamisten Feinde, denen man außer Fanatismus keine weitere Eigenschaft zuordnen kann. Auch kein anderes Motiv als eben 'religiösen Fanatismus'.

Für die anderen sind sie Glaubensbrüder oder konfessionelle Gegner, sofern sie – Muslime – den gebührenden Abstand zu dem Geschehen halten können. An den Orten des Geschehens verdichten sich diese Alternativen zu Kampfgenossen bzw. Feinden.

Was sich in den vor allem durch den Einfluss der NATO und Israels destabilisierten Regionen von Nordwestafrika bis zum Kaukasus abspielt, in Syrien, Libyen, Irak, Iran, Afghanistan, Palästina und anderen Ländern, will der sich zivilisiert-überlegen wähnende Fernsehzuschauer gar nicht wissen. Der Tod ist allgegenwärtig, Kämpfe, Kriege, Drohnenmord und Totschlag sind ein Alltag wie potenzierter Terror. Wenn und wo also "Terroranschläge" verübt werden, tragen die Täter aus dem Kreis der Opfer von Weltpolitik ihren Alltag in die Metropolen der Verursacher solcher Politik.

Teufelskreis des Todes

Sie bleiben Täter, ihre Opfer sind Opfer, aber sie verüben nicht mehr Terror als diejenigen, deren Peripherie sie angreifen. Sie sind Gegen-Täter, und ausgerechnet von ihnen zu erwarten, deren Völker tausendfach das Leid erleben, vor dem wir gerade einmal Angst haben dürfen, dass sie den Teufelskreis durchbrechen, ist absurd.

Dabei sind sie nicht bloß Opfer der Gewalt einer losgelassenen Militärmacht, sondern ebenso eines Weltkapitalismus, der ihnen die Verliererrolle zugedenkt, mit allen Konsequenzen. Selbst wo der "Antiterrorkampf" ernst gemeint ist oder wäre, sorgt er noch dafür, dass die militärische Knute gleichzeitig eine ökonomische ist. Höchstens als Arbeitssklaven dürft ihr mitmachen; ja und natürlich auch bei euch eine schmale Elite, ohne deren Mittun die Unterdrückung nirgends in der Welt Erfolg hätte.

Gegen all dies richten sich auch Isis, al Qaeda oder wie auch immer Spuk und Terrorhorden genannt werden. Ein selbsternannter "Kalif" sammelt derzeit alles hinter sich, was sich aus den oben genannten Gründen gedemütigt fühlt. Sie richten sich gegen die Kollaborateure der NATO und diese selbst, gegen Glaubensbrüder der falschen Konfession, gegen alles, was ihnen im Weg steht, für Macht, Einfluss, Rache und selbstverständlich auch für Geld und Rohstoffe. Die Koalition alter Dschihadisten, diverser Warlords, Saddams alter Armee, versprengter Syrer, Libyer und sonstiger Interessenten, deren Einfluss durch das Chaos verschwunden ist, im Bunde mit Kämpfern, die nichts mehr zu verlieren haben. So sieht sie aus, die aktive Sicherung unserer Handelswege.

Brandstifter

Die von Todenhöfer verbreitete Karikatur des Bundespräsidenten mit Turban und Kalaschnikow ist daher nur zu passend, die von dem und anderen Kriegshetzern verbreitete Mär von der "Verantwortung" durch Angriffskriege ist unmittelbar die Förderung von Islamismus und dem, was dann als "Terror" bezeichnet wird. Terror, der wiederum sehr willkommen ist, um im freien Westen® eine supranationale Diktatur zu errichten, wo die Flagge der NATO weht und die Interessen westlichen Kapitals militärisch durchgesetzt werden.

Das sind dann die Alternativen, und wir erleben Anschauungsansicht in drei Entwicklungsstufen: Hier die noch stabilen Staaten des Westens, die sich durch diktatorische Mittel einigeln, in Südeuropa Verelendung, die noch kürzlich blühende Staaten zerreißt zwischen NATO-Gefolgschaft und ersten Unruhen, am unteren Ende riesige Regionen ohne zivile Ordnung, in denen jener Terror des chaotischen Krieges floriert. Während die Betroffenen außen den Tod als Alltagserscheinung erleben, in jeder brutalen Variante, und ihn selbst zelebrieren, feiern wir unsere Unsterblichkeit und erklären die Resultate unserer eigenen unfassbaren Dummheit zum teuflischen Plan einiger Fanatiker.

Das Einzige, was dagegen einmal hätte helfen können, wäre ein Durchmarsch der Vernunft gewesen. Hätte die westliche Zivilisation je wirklich verteidigt, was sie sich stolz auf die Fahnen schrieb – Rechtsstaat, Demokratie, Vernunft, Freiheit, Gleichheit aller Bürger und die Kontrolle der Macht – sie wäre nie so heruntergekommen. Stattdessen entschied sich der Westen immer wieder für das Kapital und opferte seine Zivilisation, ehe je ein Terrorist ihr nahe gekommen wäre. Der Terror, den sie selbst säen, wird freilich eine reiche Ernte liefern.

Juli 2014

 
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Im Rahmen der Hintergründe, die jedem anständigen® Bürger, der als solcher die Ukrainer bis zu deren letztem Mann unterstützt, als nur Putin nützlich verschwiegen gehören, weise ich nach dem gestrigen, schon einige Jahre alten Stratfor-Konzept auch noch einmal auf das der RAND Corporation von 2019 hin. Hier sind die Pläne einer gleichzeitigen wirtschaftlichen und militärischen Schwächung Russlands deutlich aufgeführt.

Die eifrigsten Neocons träumen gar von einer Aufspaltung Russlands in Kleinstaaten, den einfachen Fanatikern reicht es, Russland zu "ruinieren". Die Bereitschaft zur grenzenlosen Eskalation ist offensichtlich und hat Dimitri Medwedew, immerhin Vizevorsitzender des russischen Sicherheitsrats, zu der Aussage geführt, dass es für Russland wohl an der Zeit sei, alle Welt, die gegen die NATO ist, aufzurüsten, gern auch nuklear.

Tit for Tat

Die Konzepte und vor allem jene, die sie in deren Ableitung umsetzen, sehen keine Exit-Strategie vor und und haben häufig auch nicht alle Gefahren der Idee im Auge – wenn auch RAND durchaus vor möglichen Rückschlägen warnt. Die logische Konsequenz aus der Aufkündigung so vieler Verträge zur Rüstungskontrolle nützt nämlich nicht nur dem Imperium, das ungeniert produzieren kann, was es will, sondern auch den Bösen – deren Produktionskapazitäten längst die des Wertwestens um Längen übertreffen.

Auffällig ist in den letzten Tagen, dass sich erste Lampenpazifisten aus dem Dickicht trauen und gar Wehrkraftzersetzer in die Talkshow des österreichischen Klosterschülers Lanz geladen werden. Ein Oberst a.D. durfte dort jüngst das Geschwätz des braven Junkers Hofreiter nach Herzenslust in dessen attraktives Schnütchen rückführen. Dessen Schnappatmung ging im Transkript leider verloren.

Dass Mitglieder, prominente gar, einer "SPD" die Verzweiflung nach dem nicht unerwarteten wählerischen Arschtritt ausnützen wollen, um dem Laden ein vorzeitenwendliches Label wie "friedlich" anzuheften, geht derweil aber entschieden zu weit. Das nützt nur Mützenich. Der Heilige Pistolerius fällt noch vor Schreck vom beinahe einsatzfähigen Panzer.

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Klick aufs Pic führt zu Youtube. Sie hören George Friedman, Gründer und bis 2015 Chef von Stratfor, inzwischen von Geopolitical Futures, zu Deutschland, Russland und der Ukraine (2015).
Hier gibt es ein Transkript.

p.s.: Der Chicago Council on Global Affairs ist übrigens eine dieser NGOs, die die Welt besser machen wollen. Philanthropen. Uneigennützige Bildungseinrichtung. Liebe liebe Menschen.

 
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Wenn das Gelage primitiv wird, werden Schnäpse gereicht und der Vorturner nötigt die Saufkumpane zum nächsten durch ein donnerndes "Ex oder Arschloch". Nicht nur Jungspunde, die meinen, da müsse man mitmachen, sonst sei mein kein Mann, können sich dem Gruppendruck solcher Rituale oft nicht entziehen. Das kann man seltsam finden, muss es aber zur Kenntnis nehmen.

Es sind ähnliche Strukturen zu erkennen in dem Konglomerat, das sich von der Spitze der Pyramide, den US-Neocons, bis hinunter in die Redaktion des ländlichen Käseblatts zieht. Jeder Halbgescheite hätte wissen können, dass eine Geopolitik nach dem Motto: "Die Ukraine muss gewinnen", alternativlos selbstverständlich wie alles, was die Neocons aushecken, schiefgehen kann.

TINA

Nun, da die Ukraine beste Aussichten hat, in absehbarer Zeit nicht mehr zu existieren, weil sie ihre fruchtbare Bevölkerung in Kanonen gestopft hat und den Stellvertreterkrieg, dem die NATO sie geopfert hat, unzweifelhaft verliert, ist guter Rat unmöglich, denn die Wirklichkeit wurde für inakzeptabel und daher irrelevant erklärt. Gesagt ist gesagt, das Wort gilt.

Militärisch, logisch und im Rahmen der Realität, wie sie für alle anderen gilt, sind daher zwei Möglichkeiten übrig: Entweder man lässt die Ukraine doch noch gewinnen, indem sie nicht verliert, weil Russland mit dem Rest der Welt in einem nuklearen Holocaust untergeht. Wie bei der Echternacher Springprozession haben sich die wertwestlichen Nihilisten dem bisher angenähert. Das spricht immerhin für gewisse Skrupel.

Sterben fürs Narrativ

Die Alternative wäre eine rein ideologische. Werfen wir aber zunächst einen Blick aufs Kapital: Die Chefideologen, die den Mümmelgreis im Oval Office rundum betreuen, bilden sich vermutlich wirklich ein, sie könnten die ganze Welt sanktionieren und damit Weltherrscher bleiben. Das Kapital, vor allem das europäische, hat bislang stillgehalten, wohl in der Aussicht, vom filetierten Russland zu profitieren. Das Filet rennt aber noch quicklebendig über die Steppe und hat die Hörner gesenkt.

Im Blick auf China scheint das Kapital daher bereits vorzusorgen und knüpft eifrig Kontakte. Sogar der Scholzomat macht da mit. Die Neocons isolieren sich also allmählich, während sie das Kriegsgeschehen und vor allem die mediale Aufbereitung noch bestimmen. Für sie ist die Welt eine große Erzählung, an deren Ende immer ihr Happy End steht. Die Lösung wäre also wohl die, der Welt zu erklären, wie tapfer die Ukraine gekämpft und den Dämon so geschwächt hat, dass der auf weitere Überfälle verzichtet. Nächstes Kapitel: Taiwan unprovoziert®.

 
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Quelle: Pixabay

Kollege Mersmann schrub ein wahres Wort:
"Die Freiheit des Individuums ist eine Voraussetzung einer freien Gesellschaft. Die bleibt aber nur solange frei, sie die Einsicht in das unabdingbar Gemeinsame bewahrt werden kann."

Über das Verhältnis von Kollektiven und Individuum habe ich vor Zeiten eine Seminararbeit verfasst, von der ich dachte, sie sei recht gelungen. Nachdem ich sie jüngst den Tiefen des Atari entriss, musste ich erkennen, dass es stilistisch ein furchtbares Geschwurbel wurde. Schade eigentlich.

Freiheit und Integration

Umso besser gefällt mir die Serie "Sich fremd sein", die vielleicht nicht zufällig meiner Ani das Herz gebrochen hat. Unter anderem. Die atomisierte Gesellschaft jedenfalls lechzt nicht nur nach Geborgenheit, ihre Selektion der Funktionsmöbel kriecht inzwischen auch unter den vermeintlichen Schutzschirm des autoritären Staates.

Sie und ihre Medien erzwingen die Illusion einer Gemeinsamkeit durch Vorurteile, Wiederholung und Glaubensbekenntnis. Wenn die rituellen Formeln dann zu sehr mit der Realität kollidieren, bedürfen die Jünger des Schutzes der Macht. Die Unterdrückung der Abweichler ist die letzte Stufe des Schutzes vor der Realität. Versagt auch diese, ist in der Tat Polen offen kein Halten mehr.

Fürsorge

Im zweiten Teil der verlinkten Serie schrieb ich: "Das Maximum an Gemeinschaft in dieser Sphäre ist die Koalition, die kurzfristige Verbindung von Einzelinteressen." Dieses Symptom der Atomisierung wirkt bis in die Kleinfamilien hinein. Womöglich rührt daher auch der Hass auf muslimische Gesellschaften mit ihren unzertrennlichen Großfamilien.

Überhaupt: Asiaten, Afrikaner, Muslime und Russen. Bei denen stimmt doch etwas nicht. Ihr Zusammenhalt kann nichts anderes sein als Zwang und Gewalt. Wir müssen das aufbrechen und ihnen die Freiheit® bringen. Dagegen wehren sich nur Feinde der Demokratie. Ihre Anführer sind Diktatoren.

 
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In der Tat bröckelt es nicht mehr nur, es zerfällt zusehends. Der Wertewesten hat in jeder Hinsicht ausgedient, was Gründe hat. Nicht nur verzichtet der Erfinder der Diplomatie seit Jahrzehnten auf diese und setzt stattdessen voll auf Hegemonie; Er hat auch durch seine blinde Ausbeutung der Restwelt seine ökonomische Basis zerstört.

Ausgerechnet in einem Krieg wurde deutlich, dass Natoland, das Konglomerat aus dem Kriegsbündnis und der EU, abgehängt ist. In einem Krieg geht es nicht nur um die militärische Ausrüstung – die Natoland auch völlig überschätzt hat – sondern vor allem auf die Fähigkeit, die für das Militär und seine Versorgung nötigen Ressourcen zu produzieren.

Ausgebeutet

Ausbeutung und Kolonialisierung der Welt durch den Wertewesten haben dessen industrielle Basis aber vernichtet. Arbeit und Produktion der Basisgüter ins billige Ausland auszulagern, hat dazu geführt, dass Natoland auf die BRICS angewiesen ist, die aus seinen schlimmsten Feinden (China, Russland, Iran) besteht. Dann war man noch so dämlich und hat sich von Russland als Energielieferant getrennt.

Zudem ist die Produktionsweise aufgrund der (alternativlosen) Profitorientierung ungenügend, vor allem im Krieg. Ist die Nachfrage hoch, steigen die Preise. Außerdem sind keine Reservekapazitäten vorhanden, denn die private Industrie produziert und lagert nur, was sie auch absetzt. Sie kann nicht mal eben ein Vielfaches produzieren, für das ohnehin die Rohstoffe fehlen. Ganze Infrastrukturen müssten dafür aufgebaut werden. China kann das, Russland kann das, Indien kann das. Natoland kann es nicht.

Ein Stamokap könnte das Problem langfristig 'lösen', bringt aber auch die Produktionskapazitäten nicht zurück. Es ist das, was wir gerade sehen: Haushalt und Infrastruktur werden der Kriegswirtschaft geopfert, die dennoch keine ernst zu nehmende Armee schafft. Worst of both worlds: Der Staat marschiert auf allen Ebenen in den Faschismus, der aber weder einen Wirtschaftsaufschwung mitbringt noch Raum im Osten.

No Future

Selbst eine offene Versklavung (Arbeitsdienst etc.) ersetzt kurz- und mittelfristig die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern nicht – vor allem jenen, die gerade 'sanktioniert' werden oder sich von den alten Kolonialherren abwenden. Hätten die BRICS die Absicht, den Wertewesten militärisch zu überrollen, so könnten sie das.

Was sie zurückhält, ist erstens, dass sie nichts davon haben und zweitens, dass der Westen über Atomwaffen verfügt. Er ist für sie aber keine Bedrohung. Selbst als Konkurrent ist er unterlegen. Kein Grund für Die Westerner, sich nicht weiterhin als Herrenrasse aufzuspielen.

 
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Abb.: Russ Pooteen segnet die Truppen.

Wenn Charlie, die Commies, der Vietkong den Krieg gewinnt, haben sie gesagt, wird er halb Asien überrollen. Das muss unbedingt verhindert werden. Mit allen Mitteln. Agent Orange, Phosphor, Napalm. Die Blutspur bis Kambodscha wurde damals ein letztes Mal von Kameras eingefangen, aufgezeichnet und aktuell veröffentlicht. Noch während des Krieges wurde klar: Eine einzige Lüge, ein einziges Massaker.

Die CIA-Anschläge lassen wir hier weg, auch einige Dutzend Scharmützel der Armeen des Wertewestens. Hier nur die Meilensteine, der nächste wäre Kuwait. Vor Vietnam hatten sie gelogen, aber diesmal musste es die Wahrheit sein: Irakische Barbaren reißen Babies aus den Brutkästen und zerschmettern sie auf dem Boden. Nach dem Krieg erwies sich das als professionelle PR-Produktion. Die Krankenschwester war die Nichte des Emirs.

Überall Hitlers

In Serbien musste ein Auschwitz verhindert werden. Hitler und Auschwitz markieren den jeweiligen Feind. Interventionsgrund für den Wertewesten einschließlich Bundeswehr: das Massaker von Rugowa. Vor Vietnam und Kuwait hatten sie gelogen, aber das waren ja die Amis. Dies war Europa. Nach wochenlanger Bombardierung serbischer Städte stellte man fest: Es gab kein Massaker. Nach einer Schießerei waren den Opfern die Waffen abgenommen und die Toten für die Aufnahmen drapiert worden.

Vor dem zweiten Irak-Krieg kam der US-MOD persönlich vor die UNO und 'bewies': Der Irak hat Massenvernichtungswaffen und will Millionen Menschen töten. Okay, so weit geht ja niemand, dass er offiziell die UNO anlügt. Nein? Doch. Das Ganze war von vorn bis hinten erfunden.

Vor Afghanistan haben sie gesagt, die dortigen Taliban unterstützen den Terror auf der ganzen Welt. Wenn wir sie nicht stoppen, ist niemand mehr sicher. Überall werden Horden von Muslimen Zivilisten abschlachten. Okay, vor Vietnam, Kuwait, Jugoslawien und Irak hatten sie gelogen, aber diesmal gab es schließlich Nine-Eleven. Nach zwanzig Jahren Bomben, Granaten, Raketen auf Zivilisten und auf Leichen Pissen heißt es schließlich: Wir sind dann mal weg. Die Taliban sind stärker als je zuvor. Von ihrem Weltterror keine Spur.

Der Teufel kommt uns holen

Syrien, so ließ der Wertewesten wissen, setze Giftgas ein. Okay, vor Vietnam, Kuwait, Jugoslawien, Irak und Afghanistan hatten sie gelogen. Aber diesmal sind es 'neutrale' wie Weißhelme und OPCW, die das bestätigen. Das kann ja nicht gelogen sein. Stellt sich raus: Das Ganze wurde verfälscht, Syrien hatte nachweislich kein Giftgas – im Gegensatz zum IS. Über die Neutralität der "Weißhelme" kann sich jeder selbst informieren.

Vor dem Eintritt in den Ukraine-Krieg war völlig klar, dass es nur einen Grund geben kann: Putin will die Weltherrschaft. Es gibt keinen anderen Anlass. Der 'Diktator' muss gestoppt werden, sonst wird er die halbe Welt überrollen. Okay, vor Vietnam, Kuwait, Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Syrien hatten sie gelogen. Keine dieser Lügen war nur annähernd so dreist oder verbat sich von vornherein jede Gegenmeinung. Aber diesmal sagen sie die Wahrheit. Ganz sicher. Bestimmt!

 
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Da bildet sich wer ein, er könne mir auf Zuruf ein Thema diktieren? Hat geklappt. Die Frage ist also, woher der Russenhass komme. Zunächst einmal: Es ist gar kein Russenhass. Später lernen wir dann, dass es gar nichts anderes sein kann als Russenhass.

Er hat vor allem eine Funktion, nämlich in der Echokammer der extremen Mitte die der Projektionsfläche für alles Böse. Das hat sich seit der Vorzeit nicht geändert und ist aus dem Mittelalter und vor allem aus der reaktionären Religiosität der Neuzeit bekannt. Ketzer- und Hexenverfolgung haben schon genau so funktioniert.

Später waren es in Deutschland zunächst Franzosen – als ewiger Kriegsgegner "Erbfeind" – und Juden, weil sie eben keine Christen waren und vor allem die Protestanten einen Sündenbock brauchten. Die Nazis haben das zum Wahn gesteigert und das Feindbild der Bolschewiken hinzugefügt. Letztere sind bis heute für Halbhirne, die Feindbilder brauchen, von der größten Volksgruppe der Sowjets und deren Rechtsnachfolger nicht unterscheidbar. Es sind eben 'Russen'.

Seelenlos, grau, brutal

Nach dem Zwoten waren die weiterhin ein stabiles und vor allem erlaubtes, gar gefördertes Feindbild. Moskau als Zentrale des Weltkommunismus konnte weiterhin ungebrochen für die Deutschen so fungieren und war für den Westkapitalismus unter Führung der USA der Feind und Systemgegner. Die Erfahrungen von Wehrmachtssoldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft wurden mit der Propaganda des Kalten Krieges verrührt.

Und ja, die Produktionen Hollywoods spielen eine sehr große Rolle im Fortgang des Narrativs, wie ich auch u.a. in "Das Deutsche Narrativ" darlege. Es ist schlicht klassische Konditionierung, wenn 'Russen' tausendfach als seelenlose Folterer dargestellt werden. Dabei fällt schon auf, dass es in dieser Plattheit gar keine anderen Sowjetvölker gibt.

Das geht prima bis heute, so in der Serie "For All Mankind", die eine gewaltiges Potential eines Plots hat, das in einer alternativen Gegenwart spielt (die Russen sind als erste auf dem Mond). Sie sind halt trotzdem graue folternde Erpresser – und die Nordkoreaner installieren gar die totale Überwachung ihrer Kosmonauten auf einer internationalen Raumstation. Das ist keine Satire, nein.

Der gute Ukrainer

In der schrumpfenden Echokammer der radikalen Mitte geht es nur noch mit primitivster Propaganda, und die braucht Feindbilder. Der Russe ist hoch im Kurs, der Islamist hat gerade Pause und der Chinese bleibt in der Pipeline. Letztere beiden taugen aber nur zum Schüren von Angst, weil der Wertewesten und seine deutsche Zentrale eben nicht entsprechend auf Hass gegen diese Gruppen konditioniert sind.

Der bräche übrigens schon an der einfachsten Prüfung des Narrativs. Gibt es gute Russen? Vielleicht den Entstalinisierer Chruschtschow? Oder den Befreier Gorbatschow? Vielleicht. Da wären aber dann immer noch das Monster Stalin und der Prototyp des gnadenlosen russischen Apparatschiks, Leonid Breschnew, der Schlächter von Prag, Unterdrücker der Polen und Zuchtmeister des Warschauer Pakts. Jahrzehntelang prägten diese Russen ein grausames Regime.

Okay, ich löse auf: Stalin war Georgier, Breschnew Ukrainer. Der Popanz taugt halt nur als Schreckgespenst, eine klassische Projektionsfläche eben, wenn es gerade passt. Viele Jahre vor dem ukrainischen Nazi Melnyk hat noch ein Russe im Deutschen Bundestag Standing Ovations genossen: der aktuelle Antichrist.

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