In den Anfangszeiten des Journalismus wurde bewusst berichtet. Man beschrieb, was geschah, wer handelte, wie und mit welchem Ausgang. Eventuell wurde noch etwas über die Beweggründe gesagt, sofern sie eindeutig bekannt waren. Man konnte dann auch darlegen, woher die Informationen genau stammten. Das klang dann ggf. so:
Der übländische Ministerpräsident Hübs erklärte am Montag vor dem Parlament in Schnübs, seine Regierung werde im Fall einer weiterhin hohen Inflation über drei Prozent ein Konjunkturpaket schnüren. Insbesondere die Erneuerung der Verkehrswege und der Bau neuer Kliniken sollen Beschäftigung und Konjunktur ankurbeln, hieß es in der offiziellen Regierungserklärung.
Seit der Übernahme der Verlage durch neoliberale Ideologen und nach amerikanischem Vorbild vor allem im Bereich Storytelling ausgebildeter Autoren hört sich das in etwa so an:
Üblands Regierungschef Hübs nippt noch einmal an seinem handgemahlenen Hochlandkaffee, bevor er aus der gepanzerten Limousine steigt, um schwungvoll die Stufen zum Parlamentsgebäude emporzusteigen. Er wird gleich eine schockierende Rede halten, mit der er entgegen eindrücklicher Ratschläge von Ökonomen und internationalen Partnern einen Haushalt auf Kosten kommender Generationen durchpeitschen will.
Nachdem die letzten Refugien von Verstand, Stil und Respekt vor dem Leser gefallen sind, muss der vollangepasste Mittelschichtsschreibautomat schon in die Vollen greifen, um weiterhin vom großen Journalistenpreis träumen zu dürfen, den er von seinesgleichen um den Hals geworfen bekommt:
Schon der teure, aber schlecht sitzende Maßanzug zeigt, mit wem man es hier zu tun hat: Üblands Machthaber Hübs ist eine Schande für sein Land, die sich aber dank undurchsichtiger Manöver im Sattel hält. Einige sagen, dass die Wahlen gefälscht wurden. Experten aus dem In- und Ausland bescheinigen ihm eine labile Psyche. Es gibt Berichte über Wutanfälle und Drohungen. Hübs geht ans Mikro und stellt das Parlament unbewegt und mit kalt polternder Stimme vor vollendete Tatsachen: Er wird Üblands Schuldenlast in irrwitzige Höhen steigern, um Prestigeprojekte zu finanzieren. Seine Hofschranzen applaudieren artig.
Und das war noch vor der Angst vor einer durch Lumpenpazifisten hervorgerufenen Kriegsmüdigkeit. In der nächsten Zukunft werden wir vermutlich direkt erfahren, was wir alle zu denken haben, wer unsere Freunde sind und wer als unwert zu betrachten ist. Eine neue Qualität wäre das nicht mehr.
p.s.: Man kann es freilich auch so machen.
Juni 10th, 2022 at 02:38
Das passiert, wenn man die Lassalleaner regieren lässt. 160 Jahre Staatssozialismus hinterlassen Spuren, dem Volk gefällt's; sie kennen gar keine nicht bürgerliche Regierungsform mehr.
Ein linker Flügel wäre mal wieder interessant. Aber so was wollen sie alle nicht. Angst vor DDR-Vorwürfen. (Die freilich auch einen linken Flügel gebraucht hätte.)
Sie sorgen sich vor einem "zweiten 1939", aber ein "zweites 1914" passt ihnen ins Narrativ. Ist ja bloß der Russe. Passt schon.
Juni 10th, 2022 at 11:54
Verdun oder Stalingrad gäbe es ja auch nur in der Instant-Version. Braucht man nur noch eine Geschichte, in der es eine Ehre ist, für Volk und Nation zu verdampfen.
Juni 11th, 2022 at 11:59
Die TS stimmt schon mal die Leser auf den kommenden Gegner ein und gibt den Erklärbären.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in Chinas Armee Befehle "gebellt" werden.
Da lobe ich mir doch den freundlichen militärischen Ton in den westl. Friedensarmeen.
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-militaer-115.html
Juni 11th, 2022 at 12:04
Das sind eben Viecher. Die sprechen nicht, die geben Tierlaute von sich – womit in der untersten Schublade der Propaganda angekommen sind.