In den 80er und 90er Jahren war Luhmanns Theorie Sozialer Systeme der heiße Scheiß. Ich will mich nicht lange mit Kritik oder Bewertungen aufhalten, sondern an dieser Stelle nur feststellen, dass es vor allem, wenn nicht überhaupt nur ein System gibt, das sie mit ihren Grundannahmen hervorragend beschreibt: Den Kapitalismus.
Man kann also weiterhin feststellen, dass die Theorie nicht ganz zufällig beliebt war, zumal die deutsche Soziologie wohl verzweifelt nach einer Ablösung der linksversifften Frankfurter Schule gesucht hat. Wie dem auch sei: Wie funktioniert das denn nach Luhmann, grob zusammengefasst:
System Profit
Ein System entwirft sich selbst nach einem binären Code und dem dazugehörigen Programm. Beispiel: Im Rechtssystem ist die Kodierung Recht/Unrecht. Es handelt sich hier aber um die Beschreibung eines Systems; man kann auch eine andre Kodierung annehmen. "Ficken/heil Hitler" geht zur Not auch.
Das System, das unzweifelhaft binär (und auch sonst digital) ist, weil es strikt nach Gewinn/Verlust kodiert (Luhmann hat das btw anders beschrieben), ist der Kapitalismus mit all seinen Subsystemen. Ebenso eindeutig folgen alle Prozesse dessen Logik und Zielsetzung. Was nicht profitabel ist, verschwindet – auch wenn einige Subsysteme eine Weile lang aufrecht erhalten werden können. Freilich geht es selbst dabei immer noch um Profite.
Wie kann man nun ein solches System überwinden, das auf Reproduktion und Erhalt seiner Kodierung programmiert ist? Die Frage ist unvermeidlich suggestiv. Entweder man lässt es bestehen, dann wird es sich weiter nach seiner Kodierung und Programmierung reproduzieren. Oder. Im Oder verbirgt sich die ebenso unvermeidliche Revolution.
Absurd
Das System ist von innen heraus nicht veränderbar, das heißt: Wenn ich am Programm, der konkreten Organisation, herumspiele, die Kodierung aber beibehalte, kann sich nichts ändern, denn nur erfolgreiche – (möglichst) profitable – Strategien können sich durchsetzen. Ein "Einhegen", ein Hemmen der Profitabilität in einem auf Profit ausgerichteten System ist nicht nur absurd; solche Ansätze sind nicht überlebensfähig.
Die Überwindung kann also nur von außen gelingen. Wo nun das weltumspannende herrschende System die Selbsterhaltung nicht nur von Milliarden Individuen, sondern gleich der ganzen Gattung bedroht, stehen starke Motive und sogar die Anforderungen der Vernunft zur Verfügung, um dem Moloch etwas entgegenzusetzen. Der aber verfügt über alle anderen Ressourcen. Erst wenn es ihm in einem so hohen Takt und mit solchen Verheerungen gelingt, sich selbst an die Wand zu fahren, wird sich eine Alternative etablieren können.
Juni 20th, 2024 at 17:18
Stimmt vermutlich, das mit der Überwindung und der Wand. Die Frage ist bloß, ob nach dem zwangsläufigen An-die-Wand-Fahren noch genug unverbrannte Erde übrig sein wird, auf der sich eine Alternative etablieren könnte. Oder ob überhaupt noch genügend menschliche Individuen übrigbleiben. Falls nicht, auch nicht schlimm. Dann kann die Evolution in aller Ruhe neu starten, wär ja nicht das erste Mal.
Juni 20th, 2024 at 22:35
Die Dinos haben es auch vergeigt, und die hatten unwesentlich mehr Zeit als wir. Das beruhigt mich ein bisschen.
Juni 21st, 2024 at 07:04
… und bis zum heutigen Tag zieht Sozialgeigenhansel* los, um das System von Innen her zu verändern. Dann die warme Decke des öffentlichen Dienstes, ein Häuschen mit Garten und Konjunktiv-Nostalgie im Delirium. Leicht verschämter Sozialdarwinismus inklusive, aber im akademischen Elfenbeinturm erreicht dich die Gülle des systemischen Widerspruchs nicht- so dass du ihn lieben lernst, denn er deckt dir ja auch reichlich den Tisch. Ecce homo.
* Dank an Dieter Thomas
Juni 21st, 2024 at 12:22
Sven dazu passend, die heutige TS "weiß" von einem "Autoritären Neoliberalismus" zu berichten. Ach!?
Juni 21st, 2024 at 14:35
@ Fred
Das sind doch für den Michel im nördlichen Kartoffelkosmos eh nur Wilde, UNS kann sowas NIEEE passieren, weil zivilisiert und so weiter. Warten wir mal ab, was uns der nächste Kanzler der Herzen vor die Türe legt…
Juni 21st, 2024 at 15:14
Mit der Kartoffelwahrnehmung liegst Du voll richtig. Hier in Indonesien sind das immer noch alles Reisneger für die. Das gerade in Südostasien die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung genau andersherum verläuft als bei den "zivilisierten" Deutschen, werden sie in spätestens zehn Jahren mit Verwunderung feststellen (müssen).
Aber klar, ich bezog mich da bei der täglichen Propagandashow auf das Setting. Da wird (Neo)liberalismus noch als Seegen gesetzt, so dass es für die Propaganda unmöglich erscheint das Neoliberalismus und Autorität kein Widerspruch ist und eben nicht das der Autoritarismus Kitt für den Liberalismus ist.
Das verhält sich wie mit der NPD, die sind Nazis weil, Dank eines Hufeisen, Faschismus und "Links" ja irgendwie das "gleiche" ist.
Man hat da auch immer tunlichst vermieden das Kind beim Namen zu nennen, da auch hier suggeriert wird das demokratisch und Nationalismus ja "garnicht gehen würde".
Juni 21st, 2024 at 18:53
Eine tolle Analyse, danke dafür. Auch wenn die Aussichten auf Verbesserung sehr schlecht aussehen. Hoffen wir nur, dass es schnell geht mit dem Niedergang, denn Revolution ist nirgendwo in Sicht. Dafür ist sich jeder doch noch am Nächsten.
Leider richtet sich der Protest nicht gegen das System. Zu viele glauben noch an ein "weiter so" und schauen dabei sogar zurück, wie bspw das BSW.
Aber du hast natürlich Recht, wenn du feststellst, dass sogenannte Reformen von Innen gar nichts bewirken.
Was bleibt, ist vielleicht ein Rückzug ins Private. Biedermeier eben. Gab's alles schonmal. Ich bin müde.
Juni 21st, 2024 at 20:47
"Rückzug" kann man das nennen, aber dahinter steht doch eigentlich die Erkenntnis, dass es nichts gibt, von dem man sich zurückziehen kann. Was sich "Politik" nennt, ist eine einzige Simulation als Implosion der Mittelschichtskaste, die das Geschäft besorgt. Wenn man in den Tumult keine Weisheiten hineinflüstert, ist das ja nur klug. Derweil ist es auch keineswegs verboten, sich weiter Gedanken zu machen, sich auszutauschen und die Szene zu beobachten. Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass es eben nicht immer die Zeit zu handeln ist – eher sogar selten. Ich ziehe mich von gar nichts zurück, ich mache nur nicht jeden Schwachsinn mit.
Juni 21st, 2024 at 22:21
Ich sprach ja auch von mir, was den Rückzug angeht, und bin dankbar, dass du das ablehnst.
Es ist nur so, dass ich nicht glaube, dass ich viel zum Austausch beitragen kann, außer dass ich die heutigen Zustände kaum noch aushalte.
Nun bin ich zum Glück auch in einer Situation, in der ich nicht mehr alles mitmachen muss. Dennoch fühle ich mich zu oft einfach nur hilflos angesichts dieses Irrsinns.
Deine vernünftigen und scharfen Analysen tun da gut.
Danke dir.
Juni 21st, 2024 at 22:24
@flatter (8.): Sehe ich auch so. Daher ist deine Arbeit auch so wichtig und wertvoll. Von "Rückzug" kann da keine Rede sein. Die Theorie betreffend gibt es viel zu tun. Immerhin ist der Kapitalismus ja ein globales und nicht nur ein deutsches System. Nabelschau bringt einen nicht weiter.
Zum Opener: Das das System die Taktrate ständig erhöht, kann z.Z. gut beobachtet werden. Da das System aus sich heraus nicht anders kann (im Opener super erklärt), ist es ihm egal wenn es am Ende an die Wand fährt. Diese Tatsache ist schlecht für die Menschen aber auch das ist dem System und auch dem Universum egal. Vielleicht gibt es nach dem Untergang wieder einen Neuanfang (wie auch immer der aussieht). Fest steht für mich, dass es bis zum endgültigen Untergang noch viel Elend und Tod geben wird, wenn die Menschen das System nicht doch noch, durch die ganzen systemimmanenten Verwerfungen, begreifen.
Juni 22nd, 2024 at 12:10
Ich hoffe ja das heute etwas abgeht in meiner Heimatstadt.
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/milei-argentinien-besuch-100.html
Die letzten beiden Absätze sind bemerkenswert. Ich finde es ja gut, wenn man ganz ungehemmt so frei von der Leber formuliert.
Juni 22nd, 2024 at 22:45
Der Kapitalismus tut, was er am Besten kann, einen Hard Reset in Form eines Krieges, der zwangsläufig weltweit ausufern wird. Es reicht nicht länger nur die Randgebiete zu zerstören, insbesondere die Kernlande des reifen Kapitalismus müssen mal wieder fit gemacht werden für zweistellige Renditen in der sogenannten Realwirtschaft.
Das der dritte Weltkrieg aktuell nur köchelt ist einzig und allein den internen Streitigkeiten in Washington geschuldet, China zuerst oder doch Russland oder beide gleichzeitig? Krieg will man jedenfalls, nur über die Reihenfolge ist man uneins.
In diese Entschlußlosigkeit der Kabale um den hirntoten POTUS ist jetzt dankenswerterweise der Psychopath Bibi in Bresche gesprungen und hat sich Card Blanche für einen Krieg gegen Hezbollah verschafft.
Juni 23rd, 2024 at 09:57
Sicher ist die ganze kapitalistische Scheiße grad (wieder mal) mächtig am Ausufern, und die Apokalypse ist, wo nicht schon in Anfängen sichtbar, absehbar. Fragt sich bloß, obs ein längeres Wimmern wird oder ein großer Knall, bevor das Licht endgültig ausgeht.
Trotzdem, hier was halbwegs Optimistisches, von Heiner Müller, vom Anfang der 1990er: "Die Ränder sind die Hoffnung, und die Ränder bröckeln zuerst ab. Da ist die erste Chance. Die Störung von den Rändern her. Meine einzige Hoffnung […] ist die Störung. Und es gibt immer mehr Leute, die sich gestört fühlen. Und die sind ein Reservoir."
Juni 24th, 2024 at 00:21
Einen noch…
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/feuerwerk-hydra-griechenland-102.html
-Ja genau! So war es Herr Richter. Ich lag mit meinen 16 Geschäftsfreunden gerade gemütlich in den Liegesesseln mit einem Cocktail in der Hand, da sprang ganz plötzlich die ganze Crew an die Reeling und ballerte wie wild mit den Leuchtraketen rum. Ich weiss auch nicht was die geritten haben?
(…aber dafür haben se ja unterschrieben. ;))