Treue, Moral und das Ende der Diplomatie
Posted by flatter under geostrategie , moralNo Comments
20. Okt 2025 16:28
Hätte ein Anhänger von Schalke 04 in der jüngeren Vergangenheit zu Protokoll gegeben, dass die Vorstellungen von einer respektablen Mannschaftsleistung, guter Vereinsführung, Stimmung und Zusammenhalt beim Ballspielverein Borussia Dortmund besser realisiert würden, er wäre im Kreise seiner Kameraden in Lebensgefahr. Hier kennt Moral nur ein Gebot, nämlich das der Treue, was bei einem Überlaufen zum Feind in todeswürdiger Art gebrochen wäre.
Problematisch wird dieser Atavismus in politischen Zusammenhängen, in denen er im Grunde exakt auf dieselbe Weise funktioniert. Die Bekenntnisse sind hier komplexer und müssen mit dem Management öffentlicher Angelegenheiten korrespondieren. Strittig wäre, welche dieser Funktionen die höhere Priorität innehat: der Bezug auf Politik oder das Management der Zugehörigkeit. In beiden Bereichen spielt Moral eine wesentliche Rolle. Bezüglich politischer Handlungsoptionen ist das fatal.
Unterfwerfung vs. Verrat
Konkret werden aber gerade in Krisenzeiten Bekenntnisse erwartet – zur Partei, zur Regierung, zu Funktionären, zur jeweiligen Koalition oder zu 'Partnern' wie denen in der NATO. Das Bekenntnis als solches ist nicht einmal binär, es kennt nur einen Wert: "ja". Dabei gehen alle Differenzierungen verloren, die in politischen Zusammenhängen, politischer Kommunikation, rechtlichen Hintergründen und schon der Analyse der Lage höchst relevant wären.
Beim Beispiel "Bündnistreue" wird dies schnell deutlich. Gemeint ist damit ein Militärbündnis, deren unumstrittene Führungsmacht jüngst ihr Verteidigungs- wieder in ein Kriegsministerium umbenannt hat. Diese Form von Treue bedeutet de facto Unterwerfung unter Entscheidungen Dritter, wo es um Krieg und Frieden geht, während diese anderen ihre Priorität in einer Weise offenbaren, die den eigenen Prinzipien fundamental widersprechen.
Aber schon der offene Zweifel an diesem Weg gilt in der moralisch aufgeladenen Atmosphäre der Treueschwüre als Verrat. Diese Struktur kann wahlweise als infantil oder mafiös beschrieben werden, sie wird aber den Anforderungen an eine sachliche Staatsführung in keiner Weise mehr gerecht. Was dies für die Qualität der Diplomatie gegenüber aus Sicht des Bündnisses Unzugehörigen bedeutet, kann man in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts mit großem Unverständnis beobachten.
Im Delirium der Treue
In der größten Krise und konkreter Gefahr eines Weltkriegs machen sich die NATO-Mitglieder gegenseitig scharf und haben den Kontakt zum vermeintlichen Feind nahezu vollständig eingestellt. Dies ist eine unmittelbare Folge der moralischen Emotionalisierung innerhalb der Peergroup, die an mittelalterliches Magisches Denken erinnert. Es macht den Eindruck, der Kontakt zum Bösen berge die Gefahr, man werde vom Teufel besessen. In einer rationalen Betrachtung hingegen kann ein intensiver Kontakt zum politischen oder militärischen Gegner nur von Vorteil sein.
In Bezug auf die Möglichkeit diplomatischer Lösungen von Krisen ist dies völlig selbstredend und alle Geschichte hat dies empirisch belegt, falls jemand solche Belege wirklich noch braucht. Der Antagonismus zwischen Moral und Rationalität könnte kaum deutlicher werden. Dazu passt auch, dass im vermeintlichen Gefolge der Führungsmacht der Kontakt eingestellt wurde, während diese ihn weiterhin pflegt, woran das Gefolge dann wiederum beteiligt sein will. Moral kann schwindelerregende Gedankenassoziationen hervorrufen, denen keine Vernunft mehr beikommt.
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