xx

Ich frug mich neulich, warum ich mich eigentlich so viel jünger fühle als ich bin. Alt sein ist für mich nicht nur faltig werden und Wehwehchen haben; ich habe viele Menschen erlebt, die zunehmend förmlich zugewachsen sind. Erst hören sie auf, neugierig zu sein, dann ritualisiert sich ihr Leben, Handeln und Denken, schließlich verteidigen sie nur mehr reaktionär, was sie sich vermeintlich selbst aufgebaut und verdient® haben.

Schlimmstenfalls tun sie das noch zunehmend aggressiver und nach außen gerichtet, wo sie ständig welche ausmachen, die ihnen das alles streitig machen wollen – aus Neid, Faulheit und andern ihnen angedichteten Motiven. Solche muss man zurechtweisen, fernhalten und einschränken.

xx

Dieses Land ist ebenfalls auf genau diese Art gealtert. Zu lange ging es zu vielen zu gut, vor allem eben jenen, die das Lautsprechen besorgen und sogenannte "Politik" besorgen, bekanntermaßen die extreme Mitte. Ihre Eltern und Großeltern haben als Parias angefangen, sich ein Modell zurechtgedengelt, in dem sie sich demokratisch und gerecht fühlen konnten, auch wenn es auf Kosten der Ausgebeuteten irgendwo im fernen Süden ging.

Inzwischen haben sie diese Selbstgerechtigkeit in Formeln gegossen, die völlig immun sind gegen jede Satire. "Deutschland den Deutschen" ist völlig kompatibel damit, wenn es halt die guten Deutschen sind, die sich eben was verdient haben. Wir schützen auch Minderheiten – gegen N-Wörter und mit Regenbogenfahnen. Wenn dann andere unsere lieben Freunde in unserem Auftrag im Mittelmeer ersäufen oder in Lagern foltern, ist das halt das Geschäft. Trotzdem gilt seit jeher: Jeder kann es schaffen.

xx

Alle sind derweil unerschütterlich gegen das Böse. Gegen Rechts. Sie plakatieren es wie nicht Gutes. Gegen Rechts®, das geht auch mit Nazis, die Russen abschlachten, weil es Russen sind. Dabei kommt dir der größte Spießer der berüchtigten Verbotspartei genau so mit "Freiheit" wie die anderen aus dem klerikalen Muff oder der Trutzburg der Besserverdiener. Sie sind für das, was zählt und verweisen dabei ganz en passant auf den Kern der Sache: Es geht am Ende immer darum, wie man das Militär effektiv für die letzten Profite einsetzt.

Sie alle sind dabei für Demokratie®, sind Freunde der Leute von Farbe, der Frauen und der Andersdenkenden. Dafür kämpfen sie, indem sie dem Hegemon und seinen Militärisch-Industriellen Komplex mit allen Mitteln – Mord, Folter, Krieg, Genozid – ausstatten, die Feinde der Demokratie verfolgen und jedem, der den Status Quo bedroht, die übelsten Motive und Eigenschaften andichten, damit man ihn aus moralischer Überlegenheit in die Schranken weist. Und weil der Feind so wild und gefährlich ist, zur Not bis zum sprichwörtlich letzten Mann.