Neulich saß ich draußen vor einer Kneipe und dachte an mein altes Wählscheibentelefon – ein Wort, das übrigens nicht einmal mehr in diesem nichtsnutzigen Wörterbuch hier steht. Ich denke nicht oft an mein altes Wählscheibentelefon und habe auch vollkommen vergessen, warum ich daran dachte, zumal ich auch vergessen habe, woran ich sonst noch so dachte, obwohl ich eigentlich auch das noch erwähnen wollte. Es hätte hier also eine völlig andere Geschichte stehen sollen.
Wie dem auch sei, ich habe auch kurz darüber nachgedacht, ob ich die umsitzende Jugend einmal fragen sollte, ob sie schon einmal einen Hörer auf eine Gabel geknallt hätte. Ob sie wenigstens wüssten, was das bedeutet. Eineinhalb Jahrhunderte lang wurden Hörer auf Gabeln geknallt. Heute gibt es noch so ein paar Kunststoffdinger mit einem einzelnen Plastikpin, aus dem der Hörer wieder rausfliegt, wenn man ihn nicht gleich durch das Gehäuse hämmert. In aller Regel aber findet das ja gar nicht mehr statt, und man beendet ein Gespräch, indem man einen winzigen Knopf drückt oder das Scheißding gar streicheln muss, um die Funkleitung zu unterbrechen. Streicheln!
Verstehe ich nicht
Was ist das für eine Geste, dass man eine Scheiß-Plastikschiene streichelt, wenn man fertig hat? Was ist das überhaupt für eine bescheuerte Welt, in der man sein blödes Telefon dauernd streichelt? Es ist ja noch viel schlimmer: Erst haben sie unsere Kinder daran gewöhnt, dass sie sich Bilder aus dem Netz angucken, um dabei an sich rumzufummeln, jetzt werden wir alle aus dem Netz beobachtet, während wir an dem Gerät rumfummeln. Was kommt denn da als nächstes? Müssen wir dann der Kamera einen blasen, die den ganzen Tag um uns rumschwirrt?
Und wenn das alles so seine Entwicklung nimmt, dass man also mit dem ursächlichen Vorwand, man könne jetzt auch unterwegs nicht nur jemanden anrufen, sondern auch angerufen werden, dazu übertölpelt wird, ein 'Telefon' bei sich zu tragen, das eine multifunktionale Wanze ist (Nachteil), in der dutzende von Spielzeugfunktionen untergebracht sind (Vorteil), ein Teil, das schon zu Telefonzeiten mit Vibrationsalarm ausgestattet war, warum zur Hölle gibt es das noch nicht in anatomisch geformt und leicht abwaschbar zum sich in Löcher Stecken?
Das sind so die Fragen, die ich stelle, während ich mit meinem alten Wählscheibentelefon mit dem Weltmeister telefoniere und ihn zusammenstauche, weil er so einen beschissenen Geschmack hat und so abartige Ideen und so eine bizarr idiotische Vorstellung von 'Welt', die er sich da zusammengemeistert hat, bis ich den Hörer auf die Gabel knalle und ihm nachgrolle:
"Blöde Ente!"
September 10th, 2023 at 20:15
Durch die ab 1.1.2024 verpflichtende Einführung des E-Rezepts, kommst Du ohne Tablet, Smartphone (App) oder eGK nicht mehr an Medikamente- Noch ein Symptom von Altersrassimus. Digitalisiertes Bürokratiemonster.
https://www.kbv.de/html/erezept.php
September 10th, 2023 at 21:51
Ich bin aus einer ganzen Reihe von Gründen mit dem ganzen unter der Fahne von „Digitalisierung“ daherkommenden staatlichen Überwachungswahn nicht einverstanden.
Wir können gerne über Einschränkungen wie schleichende Erschwerung von Bargeldgeschäften reden. Bargeldobergrenzen, Überwachung von Bargeldeinzahlungen aufs Konto, Meldepflichten bei Bargeldnutzung (Autokauf, etc.), Bankgebühren für Münzhandling sowohl bei Abgabe wie bei Bezug von der Bank. All das sind konkrete Auswirkungen.
Wir können uns auch gemeinsam über die Kommodifizierung unserer Patientendaten empören. Zentrale Datenspeicherung, Zwangsteilnahme mit (noch) zugelassenem Opt-Out, kein Widerspruchsrecht gegen Datenweitergabe – alles valide Aufreger. Aber daß man ohne eigenen Elektronikfirlefanz von der Medikamentenversorgung abgekoppelt wird, ist aus Patientenperspektive (zugegeben: noch) nicht richtig:
https://www.kbv.de/html/erezept.php
„Alternativ können Patientinnen und Patienten einen Ausdruck mit einem Rezeptcode auf Papier erhalten, zum Beispiel, wenn sie ihre Verordnung bei einer Versandapotheke einlösen wollen und nicht über die App verfügen. Der Ausdruck wird direkt aus dem Praxisverwaltungssystem erstellt.“
Daß man damit nur den Zugriffsschlüssel in die eRezept-DB auf Papier hat, also der ganze Krempel im Backend ohne Computer und zentrale Speicherung nicht läuft, ist klar, was mir auch stinkt. Aber tatsächlich gibt es eine Option für den Patienten, sozusagen mit traditionellem Papier als Mitgabe aus der Praxis durchzukommen. Ob die Arztpraxis das dann auch weiß und mitspielt, muß man sehen.
Es gibt übrigens Sachverhalte wie beispielsweise bestimmte Orte mit Parkgebührenzahlung per App, wo man tatsächlich ohne Handy ausgeschlossen ist. Will sagen: da ist man schon viel weiter und keine Sau interessierts. Was den Bogen zu meiner Eingangssentenz zur Bargeldrepression schlägt.
Die Moral von der Geschicht: aufregen und kritisieren, aber aus den richtigen – und vor allem validen – Gründen. Einer wäre beispielsweise, daß dann, wenn man der ePA zustimmt (genauer: nicht widerspricht), die eigene Souveränität über diese Akte nur per App auf irgendwelchem Consumer-Elektronikspielzeug zugestanden wird. Da besteht dann die offizielle Alternative darin, zu einer Kiosk-Station zu gehen, die in der Krankenkassenfiliale aufgestellt werden soll. Das ist dann aus Praktikabilitätsgründen tatsächlich ein impliziter Zwang zum digitalen Endgerät beim Patienten. Das mit dem eRezept ists derzeit nicht. Daß der Zug dorthin fährt, ist aber auch klar.
Just my 2 Cents.
September 11th, 2023 at 08:30
[…] als Hip-Hop, lese ich fassungslos beim „Neuen Deutschland“. Erst nehmen sie uns das Hörerknallen weg, jetzt machen sie uns auch noch den Jazz madig. Doch bloß nicht überreagieren, […]
September 12th, 2023 at 19:05
War ein gewisser Olaf Sch. beim ersten Absatz der Co-Autor?
September 12th, 2023 at 20:16
Der Vergesslichkeit wegen? Der Text ist aus 2013 (bis auf den letzten Satz, den habe ich modifiziert), da durfte er sich noch an etwas erinnern.
September 13th, 2023 at 12:09
Apropos alte Werte: Das hat dem Hubsi und seiner Partei ja mal so richtig die Grenzen aufgezeigt, dass sie ihm Schülerstreiche vorwerfen. In dem Milieu darf man wohl noch ein bisschen Nazi sein – Überraschung! Er ist ja nicht so ein Judenmörder wie Corbyn.
September 13th, 2023 at 13:39
Ja da ist die bürgerliche Welt wieder in Ordnung und kann aufatmen. Sozialismus = Antisemitismus!
September 13th, 2023 at 21:06
Kein Wunder, dass der Sozialismus™ sich bekriegt: "Linke" Magazine – leider noch nicht die "taz" – gehen reihenweise bankrott (links sein muss man sich halt auch erst mal leisten können), währenddessen gründet jeder Dödel, der sich für "links" hält, aber mit irgendwas nicht einverstanden ist, eine neue Partei.
(Aus dem Verfassungsschutzbericht NRW, 2022.)
Hat eigentlich schon mal jemand untersucht, ob es eine nachweisbare Korrelation (muss ja nicht mal = Kausalität sein) zwischen der Anzahl vermeintlich linker Parteien und der Anzahl vermeintlich linker Heftchen gibt?
Nachtrach: "Differenzierung aufgrund von Unkenntnis über grundsätzlich bestehende Gemeinsamkeiten" wäre ein guter Name für eine Punkband. Wenn wer will.
September 13th, 2023 at 22:32
Die Linke ist mausetot. Es ging einmal um die ganze fucking Menschheit, die unter dem Kapitalismus leidet. Es gab einmal Gegenmodelle, die von einer Struktur getragen wurde, der viele zustimmten. Inwiefern diese Vielen auch nur annähernd verstanden haben, was Kapitalismus ist und was die politische Gegenbewegung mit ihnen zu tun hatte, wäre ein guter Forschungsgegenstand. Das Problem heute ist, dass es keine Vielen mehr gibt, die eine Gegenbewegung ausmachen könnten, weil es keine realistische Vision gibt, die eine andere Gesellschaft etablieren könnte. Die Realisten erwarten eine Entwicklung, die keinerlei gute Aussichten birgt: Zusammenbrüche bis hin zur Erkenntnis, dass der Kapitalismus nicht mehr genügend Menschen versorgen kann, um seine Machtstrukturen zu erhalten. Das Einzige, das kurzfristig große Veränderungen bewirken kann, ist ein Atomkrieg.
Utopien müssen also sehr langfrisitg denken, auf den Ausfall des Armageddons hoffen und sich Gedanken machen, wie sich eine postkapitalistische Gesellschaft aus dem Niedergang entwickeln kann. Das taugt nicht für fröhliche Arbeiterlieder. Die woke Wünschdirwas-Fraktion ist so dumm und naiv wie irrelevant.
September 14th, 2023 at 04:48
Alleine das man die Rhetorik des VS bedient, ein "Extremist" will das Bestehende ja nicht nur erhalten, sondern eben noch "extremer".
Linke die sich Klassengegensätze bewusst sind, wollen ja eben keinen extremeren Kapitalismus.
Eine Identitäre Spralleria die sich in ihrer persönlichen Erlebniswelt gemütlich eingerichtet hat wollen doch auf Netflix, Lieferservice u. dgl. nicht verzichten.
September 14th, 2023 at 10:18
@Fred: Ich würde aufhören, den Leuten zu erzählen, Linkssein sei eine Form des Zen-Buddhismus, in der der Verzicht oberste Priorität hätte.
Warum sollen die Leute kein Netflix und keinen Lieferservice haben?
Die Fragen sind doch eher, wie alle alles haben können, ohne dafür Kriege für Rohstoffe zu führen und wie man es schafft, den Planeten nicht dabei vor die Hunde gehen zu lassen.
Sobald Leute von 'Die Linke' – über die Namensgebung könnte ich mich heute noch aufregen – über Geld oder 'Verteilung' reden, dann weiß ich, dass ich von denen nichts zu erwarten habe.
Schade eigentlich.
p.s.: Einer der besten Kommentare seit langer Zeit: Hinnack sagt: 12. September 2023 um 12:19 Uhr
September 14th, 2023 at 12:16
Vielleicht war es durchaus mißverständlich Ausgedrückt. Aber eine gerechtere Welt ist für mich eben keine asketische Trostlosigkeit, da bin ich schon eher Hedonist.
Aber er kann das schon besser Vermitteln und das schwebte mir so im letzten Absatz vor:
https://youtu.be/syvk5sX9iOY?si=I_l4WC8-ZixkoC4w
PS: Der macht auch geniale Comix.