Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass ich Suchmaschinen bemäkele. Sie waren einmal ein wirklich gutes Mittel, um Informationen aufzufinden. Man konnte regelrechte Datenbankanfragen senden und bekam Antworten in direkter Abhängigkeit von der Eingabe. Es gab gar wunderbare Instrumente, mit denen man z.B. die Häufigkeit bestimmter Wortkombinationen in einem bestimmten Zeitraum abfragen konnte. Das ging wohl nur so lange, wie die Datenbank noch solche Anfragen zuließ, weil die Datenbasis noch einigermaßen beherrschbar war.
Einige Billionen Einträge später wurde das System darauf optimiert, schnelle Antworten zu liefern, die auf die meisten Anfragemotive passen. Haben wir da nicht ein schönes Wort geschöpft? Die Algorithmen erfassen inzwischen nämlich so etwas wie Anfragemotive und bearbeiten daher die eigentlich Anfrage nicht mehr. Du willst, dass deine Eingabe bearbeitet wird? Vergiss es. Google weiß besser, was du suchst, als du selbst. Bleibt noch die Möglichkeit, dass du ganz exakt formulieren kannst, was du suchst (z.B. ein längeres Zitat), und die Maschine zwingst, wirklich nur das zu suchen. Meist findet sie dann auch nichts. Wortkombinationen hingegen kann sie faktisch nicht mehr anständig verarbeiten.
Generation Google
Die Generation Google, die eine Suchmaschine für die allwissende Referenz hält, weiß schon gar nichts mehr von solchen Möglichkeiten und Anforderungen. Sie ist auch fast immer zufrieden, wenn irgendetwas erscheint, das sie mit ihrer Frage assoziiert. Zu 90% reicht das. Der Fehler: 90% Wissen sind 100% Unwissen. Dieses Unwissen ist systembedingt; dazu muss man nicht einmal manipulativ filtern.
Eine Schicht darunter liegt schon der ganz tiefe miefende Sumpf, die Wikipedia. Alles, was irgendwie mit Interessen verknüpft sein kann, wird verfälscht, manipuliert und verdreht. So werden etwa derzeit alle Beiträge, die irgendwie mit Russland assoziiert werden können, selbst wenn sie eigentlich nichts damit zu tun haben, mit Urteilen über Putin und seinen grausamen Angriffskrieg verziert. Sowieso bezahlt jeder, der es sich leisten kann, ein paar Hanseln für das Aufhübschen seines persönlichen Eintrags, und so fort.
Wissen geht anders
Warum sollten auch ausgerechnet dort die Eigentums-, sprich Machtverhältnisse aufgehoben sein? Wenn selbst Verlagsmedien, in denen immerhin Fachleute an Lexikonartikeln arbeiten, das vermeintliche Wissen selektiv darbieten, warum sollte dann eine Datenhalde, bestellt von Eiferern, gekauften Hanseln und Hobbyautoren, deren herausragende Qualifikation in ihrer Selbstüberschätzung besteht, seriös Wissen vermitteln?
Tatsächlich ist die Bibliothek, digital wie analog, wieder das Mittel der Wahl, wenn man wirklich wissen will. Derweil vermittelt nicht nur die Tagesschau das Gefühl, informiert zu sein, sondern eben auch das Internet. Und da dort alle in derselben wabernden Blase ihre Wirklichkeit beziehen, bildet sich eine infernalische Echokammer der Verblödung. Das ist Software, da kann man nichts machen? Eine Minimalforderung wäre vielleicht die, alle wissenschaftlichen Arbeiten als ungenügend abzulehnen, in denen die Wikipedia zitiert wird. Das ist ein absolutes No-Go.
Dezember 11th, 2022 at 21:05
Das Lesen von Primärquellen sollte jemanden, der es wissenschaftlich angeht, schon geläufig sein. Ich glaube kaum, dass viele Lehrstühle eine Master-Arbeit mit Wikipedia-Referenzen akzeptieren.
Dezember 11th, 2022 at 21:47
Ich fürchte Schlimmeres und halte das auch für Proseminararbeiten für inakzeptabel.
Dezember 11th, 2022 at 22:59
Und dann gibt es ja noch Quellenkritik: gerade beim Aufarbeiten von Geschichte wird es einem kaum gelingen zig Zeugenberichte aufzutreiben zum gleichen Sachverhalt. In sofern gehört da die Würdigung von Quellen zum Standard.
Witzigerweise ist Wikipedias Ansatz, dass x Autoren an einem Text feilen unter intransparenter Prozesse so ziemlich das Schlimmste, was man machen kann, um einen solchen Artikel als Quelle benutzen zu können. Ein Teil der Quellenkritik ist ja auch die Beurteilung des Autors. Tja, wer war das doch gleich auf Wikipedia? Donkey und Moorhuhn21 haben 33% des Artikels geschrieben. Penistüte noch 8% und der Rest sind "ferner liefen". Stand heute.
Ich will ja wirklich nicht fachlichen Sumpf an Universitäten übermäßig loben – insbesondere nicht in den Geisteswissenschaften – aber Wikipedia springt mit Anlauf locker darunter.
Wikipedia ist in etwa das Twitter der Wissenschaft, das Kondensat des Informations-Lynchmobs, die vollgespritzte Tapete nach dem Kettensägenmassaker an der Kreuzworträtselecke.
Für einen Zufallsgenerator zuwenig zufällig und zum Nachschlagen zuwenig verlässlich. Aber die Meinung der Herrschenden findet man dort, denn die Währung bei Wikipedia ist Beharrlichkeit und die kann sich im Kapitalismus der Reiche leisten und der arbeitslose Psychopath – was ja ungefähr das gleiche ist im Persönlichkeitsprofil.
Dezember 11th, 2022 at 23:35
Passt.
Dezember 12th, 2022 at 05:22
Als ich auf dem zweiten Bildungsweg studiert habe, wurden in den geisteswissenschaftlichen Fächern Hausarbeiten u. Abschlussarbeiten die im Literaturverzeichnis Wikidingenskirchen hatten nicht bewertet. Ich muss dazu sagen, dass dies allerdings nur von Profs so gehandhabt wurden, die schon kurz vor der Rente waren.
Dezember 12th, 2022 at 09:27
Paradebeispiel des westlichen Informationsniveau im Internet.
https://t.me/brianlovethailand/1161
Bei der deutschen Wikipedia ist der komplette Bereich "Human Ressources", Politik, Geschichte, Geisteswissenschaft absoluter Müll.
Als Informationsquelle für nicht kontroverse Themenbereiche wie Ornithologie kann man den Laden ganz gut gebrauchen.
Dezember 12th, 2022 at 22:41
Bald haben sich all diese Probleme erledigt: Unfälle der Digitalisierung
In vielen Bereichen meiner Universität, die Opfer eines Angriffs auf ihre digitale Infrastruktur geworden ist, kann man derzeit die Wiederkehr des Analogen, des Präsentischen innerhalb der Ära der Digitalisierung beobachten. Es ist die Wiederkehr der prädigitalen Universitätskommunikation. Die Universität ist wie früher: Sprechstunden werden über Zettel an der Bürotür bekanntgegeben, der Lehrkörper ist bis auf die geforderte Präsenz in den Lehrveranstaltungen und in den Sprechstunden nicht erreichbar, korrigierte Hausarbeiten werden per Post versendet, aus PDFs in digitalen Semesterapparaten, auf die man von überall aus Zugriff hatte, werden Kopiervorlagen in Aktenordern, die in Regalen in der Bibliothek stehen. Die Dauerkommunikation der digitalisierten Universität scheint für wenige Augenblicke angehalten worden zu sein. [..]
Ich gehe jetzt erst einmal in die Poststelle.
Danke, Vice Society.