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Lächle doch mal! Sei nicht so negativ! Trink doch einen mit, stell dich nicht so an! Sieh doch mal das Schöne im Leben! So schlimm wird es schon nicht sein. Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben! Kopf hoch, sonst fällt das Krönchen …

Ja genau. Wieso zur Hölle bin ich eigentlich noch nicht selbst darauf gekommen? Mannmannmann, da kullert doch mein Krönchen, weil ich Dummie wieder vergessen habe, das Köpfchen hochzunehmen! Das Geilste an vielen Mutmachern ist ja, dass sie nicht nur zu doof sind, sich Gründe auszumalen für die schlechte Stimmung, die ihnen aus einem Gesicht entgegenschlägt.

Nicht nur, dass sie einem nicht einmal die Depression gönnen, nein. Sie sind dann auch noch empört, wenn sie es mit der aggressiven Variante der Bewältigung zu tun bekommen. Dabei muss jeder, der mich länger als 5 Minuten kennt, ahnen, wie nah ich am Tourette gebaut bin. Das ist doch dann ganz einfach: Nicht reinsprechen, kein Echo.

Ruhedonnerwetternochmal

Früher wollte ich Busfahrer werden. Ich war auf der Stelle verliebt in den Job unter dem Schild über dem Paradies: "Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen!". Ich hätte den Fahrgästen jeden Tag aufs Neue deutlich gemacht, was “Gast” bedeutet und dass sie NICHT MIT DEM FAHRER zu SPRECHEN haben. Denn "Fahrt", das wär’ wohl, wenn ich da wäre. Niemand hätte mich aufgemuntert. Niemand hätte gemuckt. Nicht auf meiner Route.

Sei doch mal positiv! Bin ich doch, oder zählt mein HIV-Test etwa gar nicht?! Wo ist dein Optimismus? Meiner? Das ist deiner. Ich habe irgendwann nach meiner Geburt einmal nachgedacht. Seitdem bin ich Realist, also Pessimist. Nachdem ich damit also schon kein Glück mehr hatte, kam noch Pech dazu. Tut mir also leid, wenn meine eingefrorene Visage dir Kummer bereitet. Soll ich mich töten für dich? Ich könnte das gleich hier tun. Ich meine, wenn das wirklich so schlimm für dich ist …

Seien wir doch mal ehrlich. Die besten Zeiten haben wir hinter uns, wenn wir merken, dass wir sie vielleicht mal hatten. Okay, jetzt kann man in alten Zeiten schwelgen und sich schon morgens besaufen, um nicht zu merken, dass es nie mehr so wird. Werden die Zeiten dann aus irgend einem Grund noch schlimmer, vielleicht die nächste Droge on top, das wird aber teuer, macht’s nicht besser und ist wirtschaftlich für viele auch einfach nicht zu stemmen. Bleibt also was? Richtig: Depression. Wie gesagt, in unterschiedlichen Varianten.

So, jetzt sind da draußen aber permanent Haufen von Hohlfrüchten unterwegs, die einem das verleiden. Wisst ihr, wie ich das nenne? Diskriminierung, übelste Sorte. Vergräbst du dich zuhause, locken sie dich raus, gehst du raus, kommst du keine fünf Meter weit ohne auf ein Rudel Gurken zu stoßen, aus dem mindestens zwei Scheiben dir mit ihrer zur Schau gestellten Lebensfreude auf die Eier gehen. Diese Zuchtmeister der Schunkelstimmung, die all ihren hasserfüllten Optimismus darauf verwenden, harmlose Autisten in den Suizid zu umarmen.

Schluss mit der Unterdrückung

Diese Psychorassisten wollen dabei nicht nur die schlechte Laune, die Depression und den Zorn liquidieren. Der Völkermord an der einstmals hohen Kultur des Fluchens, Nörgelns und Keifens schreckt selbstverständlich nicht vor der totalen Vernichtung unserer Sprache zurück. Warum muss etwa ein Jurist sich hinter der Floskel: "Hochachtungsvoll" verstecken, wenn er "Leck mich am Arsch" meint? Oder "Mit vorzüglicher Hochachtung" anstelle des ehrlichen “Du blöder Wichser!”? Warum heißt es "Guten Morgen", wenn einem bestenfalls egal ist, wie ein irrelevanter Mitinsasse dieses verschwendeten Planeten den Vormittag findet?

Damit wie gesagt nicht genug; wenn man nur gerade der Norm der fröhlichen Heuchelei entspricht, findet sich immer, überall und sofort ein Weltverblöder, der mehr Begeisterung verlangt (hier sollte es doch wenigstens auffallen, dass ein Mangel an Geist zwar notwendige Bedingung ist für diese Haltung, aber eben gerade nicht dadurch kompensiert werden kann). Ich hingegen verlange eine Aufnahme der Stimmungsautisten, Depressiven und Entnervten ins Antidiskriminierungsgesetz. Fortan soll, wer anderer Menschen Stimmung aufzuhellen versucht oder sie gar selbst dazu auffordert, ihre Stimmung zu wechseln, sanktioniert werden wie jeder andere miese Stalker.

Außerdem erwarte ich eine Anpassung der Regeln des offiziellen Schriftverkehrs dahingehend, dass ein Idiot auch "Idiot", Scheiße "scheiße" und überhaupt jede der vorgeblichen Neutralität entzogene Empfindung der dunklen Seite beim Namen genannt wird. Wer dies als ungebührlich, zu 'negativ' oder pessimistisch empfindet, ist aufgefordert, dergleichen fortan uneingeschränkt lustig® zu finden. Lach doch mal drüber! Hab dich nicht so! Stell dich nicht so an! Ey, du hast es doch gut!

März 2015