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Ich betreibe dieses Blog bekanntermaßen seit 18 Jahren. Bis zu 360 Postings pro Jahr sind dabei herumgekommen, mithin darf ich behaupten, dass ich mich professionell mit den Inhalten befasse, vor allem politischen. Dabei habe ich eine Menge gelernt und wundere mich, wieso ein ähnlicher Effekt offenbar bei fast all denen ausbleibt, die sich an anderer Stelle mit denselben Themen befassen.

Journalisten, Politiker, sogenannte Experten. Am ehesten geht mir noch ein, dass sie sich vom Betrieb korrumpieren und verblöden lassen, sodass sie am Ende ihren eigenen Erzählungen glauben. Je bescheidener ihr Verstand, umso deutlicher der Effekt. Aber es scheint durch, dass ganz Gallien im Zweifel der Wirklichkeit panisch den Rücken kehrt und sein Heil im Fairytaling sucht.

Verstehen vs. halluzinieren

Das andere Ufer ist weit, kommt man doch obendrein nur dort an, wenn man streng materialistisch denkt, will heißen: Vergiss Personen, Absichten und Motive; wenn du die Welt verstehen willst, beschäftige dich mit Optionen, Strukturen, Kräften. Interessen spielen da durchaus eine Rolle, sind aber ihrerseits immer eingebunden in Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die eben diese Interessen immer stärker beeinflussen als andersherum.

Einfaches Beispiel: Kapitalismus fördert Gier. Er kommt aber problemlos auch ohne aus und würde sich nicht verändern, gäbe es sie nicht. Die Gier hingegen, die sich in ihm ausbildet, ist auf breiter Fläche nur in ihm möglich und würde unter anderen Bedingungen konsequent unterdrückt.

Das Establishment, die versammelte Elite bescheidener Geister, glaubt hingegen lieber wie in der Steinzeit an Wollen als Wirken, Geist und Ideale als bestimmende Faktoren des Seins. Wünschdirwas, 'Man-müsste-nur', wir haben das hier oft durchgekaut. Das geht so weit, dass politisches Funktionsmobiliar gar nicht erst mehr versucht, Probleme zu definieren und Lösungsansätze vorzuschlagen. Sie erzählen uns lieber, wie sie’s gern hätten und werden dafür beklatscht.

Der Kanzler hätte es gern schön

Zwei sehr aktuelle Beispiele hirnerweichender Naivität, mit der Experten® und Politiker herumfuhrwerken: Erstens ein derzeit populärer Plauderer des österreichischen Militärs namens Markus Reisner. Weil er ab und an einen Blick auf die Frontverläufe wirft und vergeblich die Erfolge sucht, von denen er im Fernsehen hört, gilt er als kritisch.

Aber selbst dieser wagemutige Held mit immerhin schwacher Realitätsanbindung wabert durchs Wünschdirwas. Etwas anderes als Siegesstrategien fällt ihm nicht ein, also fordert er u.a. "mehr Drohnen" und anderes Siegesgerät. Dass Russland genau deshalb seine SMO zum Erfolg führt, weil es den Wertewesten industriell in Grund und Boden produziert, kann er nicht sehen wollen. Da gewinnen nämlich die Falschen und obendrein wird Heldenmut brutal von Ökonomie geschlagen.

Ein noch traurigerer Fall ist der Cum-Ex-Kanzler mit seiner ganz speziellen Beziehung zu allem rund ums Thema Immobilien. Hunderttausende sind bereits obdachlos, Millionen können sich ihre Behausung plus warme Mahlzeit nicht mehr leisten. Was sagt der approbierte Arbeiterführer dazu? Er wünsche sich "einen Bauboom wie in den Siebzigern". Will er haben. Fände er toll. Applaus, den wähle ich. Und zu Weihnachten bitte noch Marzipan für alle!