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Was kann Moral? Alles. Beispiele für die Kapriolen, zu der sie fähig ist, liefert mustergültig die Katholische Kirche, hier im Zusammenhang mit dem Atomkrieg: Pater George Zabelka, Militärseelsorger für die Besatzungen, die die Bomben über Hiroshima und Nagasaki abwarfen, hatte vermeintlich posthum einen Erkenntnisschub und gab zu Protokoll:

"Ich war fest überzeugt, dass diese Art von Massenvernichtung richtig war; so fest, dass sich mir die Frage gar nicht stellte, ob das überhaupt moralisch vertretbar war."

Das kann er seinem Kaplan erzählen. Eingebunden in die "Maschinerie" war er ja nicht bloß beim Militär, sondern vor allem in seinem Verein jenseitiger Zyniker, die noch jede schmutzige Bombe abgesegnet haben, zumal, wenn es gegen Fremdrassige ging. Sie sind die Fachleute für Gut und Böse, mithin für Moral, deren Kern darin besteht, das Böse vernichten zu wollen.

Sodom und Gomorra

Solche Schuldgefühle möchte auch keiner haben, darum sind seine Ausflüchte durchaus verständlich:
"Das machte die Gehirnwäsche, der ich unterzogen wurde, ohne Zwang und Foltermethoden, einfach nur durch das Schweigen meiner Kirche und ihre vorbehaltlose Zusammenarbeit mit der Kriegsmaschinerie des Landes in tausend kleinen Dingen."

Schweigen? In Form der ganzen Gebete gegen die fremden Teufel, für die Mörder in Uniform und schließlich das Segnen von Massenvernichtungswaffen? Hat er mal einen Blick in die Geschichte gewagt? Wann jemals schwiegen die Kirchen wenigstens, wenn es ans große Metzeln ging? Welcher Krieg war nicht zumindest am Rande auch ein Kreuzzug? Die Heuchelei steigert sich übrigens in unerreichte Höhen, wo es um 'christliche' Opfer in Nagasaki geht. Haben die anders gebrannt als die Heiden?

Auch in Deutschland wollte man schon so früh wie möglich mitverdampfen, der Trend ist nicht neu. So salbaderte Gustav Gundlach 1958:
"Wenn die Welt untergehen sollte, wäre das auch kein Argument gegen unsere Argumentation. Denn wir haben erstens sicher Gewissheit, dass die Welt nicht ewig dauert, und zweitens haben wir nicht die Verantwortung für das Ende der Welt. Wir können dann sagen, dass Gott, der Herr […] dann auch die Verantwortung übernimmt."

Armageddon

Losgelassene Moral in höchster Vollendung. Das (göttliche) Urteil – eingehüllt in menschliche Entscheidungen – kennt kein Korrektiv im Diesseits, sprich: der Realität. Eine überlegene Autorität, die über Leben und Tod, am Ende der ganzen Menschheit, befindet, will sich gar nicht verantworten. Sie steht außerhalb jedes Zusammenhangs. In der Psychiatrie nennt man das auch Psychose.

Das Ergebnis unterscheidet sich nicht von der protestantischen Variante, die das Pferd umgekehrt aufzäumt und freidrehende Moral einfach Verantwortung nennt, egal, welche Abgründe sich dadurch auftun. Beide verachten die Menschen, reduzieren sie auf Stückgut und Manövriermasse. Tod, Hunger und Leid sind stets Kollateralschäden der höheren Weihen. Das Gute muss erbarmungslos "gewinnen", auch "wenn die Welt untergehen sollte".