Ich hatte schon immer ein Problem mit meinen Mitmenschen, jenen nämlich, die mitdenken. Schlimmer noch: die erwarten, dass man selbst auch mitdenkt. In dem einen oder anderen Lehrer fand ich glücklicherweise verständnisvolle Begleiter, die mich nicht auf diese Weise normiert haben.
Mit dem Denken ist es viel komplizierter, als die meisten Menschen ahnen. Nicht nur, dass es nicht jeder 'kann' in dem Maße, wie er es sich ausmalt; es ist auch von sehr viel mehr Faktoren beeinflusst als dem, der gemeinhin unter 'Intelligenz' firmiert, oder von Talent.
Komme nicht dazu
Dass es Hindernisse fürs Denken gibt, ist allgemein bekannt. Adrenalin, Geschlechtshormone oder die anderen fünf Neurotransmitter, die in der Psychiatrie berücksichtigt werden, können furchtbare Taubheit in der Großhirnrinde verursachen. Zudem ist die Motivation, überhaupt über etwas nachzudenken, u.a. von der Persönlichkeitsentwicklung abhängig.
Wenn Kinder etwa dazu gezwungen sind, sich einen Reim auf ihre Umwelt zu machen, wenn sie besonders gefördert werden, ihre Neugier und ihr Reflexionsvermögen zu bilden, wenn sie in Umständen aufwachsen, die permanent ihre Aufmerksamkeit fordern, dann fördert das entsprechend ihre kognitive Leistungsfähigkeit und deren Gebrauch.
Das macht niemand bewusst mit Kindern, es sei denn, er ist ein Sadist oder sonstwie krank im Kopf. Passiert aber. Man darf also davon ausgehen, dass die leistungsfähigsten Menschen Opfer einer unglücklichen Kindheit sind, in der sie mit Überforderung gestraft wurden. Am Rande: Überbehütung macht dementsprechend doof – tendenziell.
Das Ende ist nah
Denken will motiviert sein. Jene Getriebenen, die nicht anders können, sind Outlaws in der Gesellschaft, die ein Mitdenken fordert, zumal dort, wo diese Gesellschaft Abweichungen registriert und diskriminiert. In einer solchen Gesellschaft ist die kreative und abweichende Nutzung des Verstandes häufig mit schlechten Erfahrungen verbunden. Das zeitigt Folgen.
Gerade in Zeiten, in denen Besonnenheit und Nachdenklichkeit erforderlich wären, brechen sich Wut und Hysterie Bahn. Schluss mit diesem Denken, das zu nichts führt und einsam macht! Zur Tat! Schließt die Reihen! Schlagt zu! Dies ist die Folge in einer Gesellschaft, die Denken nur in engen Bahnen zulässt; die es domestiziert und gerade so weit zulässt, wie es die gegebenen Zustände aufrecht erhält. Wo diese zerfallen, übernimmt das Rückenmark, weil Denken nie gelernt hat, Grenzen zu überschreiten.
März 7th, 2022 at 18:44
"Jene Getriebenen, die nicht anders können, sind Outlaws in der Gesellschaft, die ein Mitdenken fordert, zumal dort, wo diese Gesellschaft Abweichungen registriert und diskriminiert. In einer solchen Gesellschaft ist die kreative und abweichende Nutzung des Verstandes häufig mit schlechten Erfahrungen verbunden."
Gut zusammengefasst. Jetzt weiß ich endlich, warum ich von so vielen Menschen als "anders" qualifiziert werde und nicht wenige mir unbedingt nachweisen wollen, dass ich es nicht ertragen könnte, nicht Recht zu haben. Ich kann dem nichts entgegensetzen, weil Argumente nichts bewirken. Im Moment fühle ich mich daher wirklich ziemlich allein.
Aber was habe ich schon zu sagen. Ich bin derzeit kein nützliches Mitglied der Gesellschaft, krank, verrückt, was weiß ich schon.
Immerhin: auch auf diese Weise nicht tauglich, die Reihen zu schließen.
Mach bitte weiter so.
März 7th, 2022 at 19:03
Ich entziehe mich auch seit geraumer Zeit der Nützlichkeit und wenn ich auch nur daran denke, das zu ändern, fällt mir irgendwas auf den Kopf und nimmt mich wieder aus dem Rennen. Macht mich kein Stück traurig.
März 7th, 2022 at 19:31
Das macht mich auch nicht traurig, auch wenn ich noch wilde Träume zu dem Thema habe.
Traurig macht mich aber der Zustand der Gesellschaft, der Welt, der Politik, die nichts anderes weiß, als weiter zu machen wie bisher, mit denselben bürokratischen Mitteln auf neue Umstände reagiert. Es wird alles so zerstückelt, die Zusammenhänge, die wirklichen Ursachen für Krisen und Konflikte werden nie bis zum Ende analysiert, immer werden nur schnelle und althergebrachte "Lösungen" präsentiert. Das macht mich schier verrückt. So kann doch niemand zu Erkenntnissen kommen, die tatsächlich etwas bewirken könnten. Will das überhaupt jemand?
März 7th, 2022 at 19:46
Ich fürchte, nicht und versuche mir das so zu erklären, dass eben Strukturen, die allmählich offenbaren, dass sie nicht mehr tragfähig sind (aka Krise des Kapitalismus), keine Lösungmöglichkeiten in ihrer Binnenstruktur mehr bieten und daher die üblichen Analyseansätze überfordern. Ansätze, die aus einer anderen Perspektive kommen, sind aber tabu und für die Ingenieure des Bestehenden sowie deren Adepten nicht operabel. Sie erkennen darin nur Unsinn oder Rauschen – was es häufig auch ist, weil die Außenansichten in der Regel auch weder wissenschaftlich noch sonstwie konsistent sind. Von 'binnen' sieht das alles gleich aus. Und selbst wenn man sich dem verständlich machen kann – weil es ja durchaus noch ein paar ordentlich ausgebildete Leute gibt – sagen die einem ebenfalls, dass man damit nicht durchkommt. Wenn dann noch einer "Marx" sagt, ist endgültig Ende Gelände.
Diese Krisen, von denen der Ukraine-Krieg ein Symptom ist, müssen daher auf Teufel komm raus moralisiert und personalisiert werden. Klappt prima, wird gern genommen (like!).
Ja, gute Gespräche werden da selten, andererseits aber auch die mit der gottlosen Zeitverschwednung. Ich habe mich an Statements gewöhnt, wo ich früher meinte, ich müsste argumentieren. Wirkt am Ende womöglich sogar besser.
März 7th, 2022 at 20:09
Dein "Problem" ist, glaube ich, dass du wirklich gute Analysen lieferst, sodass ich z.B. gar nichts mehr hinzufügen könnte. Was mich aber interessiert ist, wie ich von meiner Traurigkeit angesichts der schrecklichen Entwicklungen übergehen könnte zu Wut oder Zorn (keine Ahnung, was besser ist). Ich lande sonst wohl unweigerlich in Resignation.
Was kann ich tun?
März 7th, 2022 at 20:22
@1 & 5: meetoo ;-((
März 7th, 2022 at 20:25
@#5: Das ist so eine Frage der Neurotransmitter, mithin die, ob mit oder ohne Drogen …
März 7th, 2022 at 20:38
ohne Drogen.
März 7th, 2022 at 20:53
@juttipat #6
inwiefern meetoo? Erzähle bitte.
März 7th, 2022 at 22:22
sorry ist mir zu (momentan) öffentlich.
Vielleicht ergibt sich mal noch eine gute Gelegenheit.
Ich bezieh mich hauptsächlich darauf:
"Jetzt weiß ich endlich, warum ich von so vielen Menschen als "anders" qualifiziert werde und nicht wenige mir unbedingt nachweisen wollen, dass ich es nicht ertragen könnte, nicht Recht zu haben. Ich kann dem nichts entgegensetzen, weil Argumente nichts bewirken."
und das: "übergehen könnte zu Wut oder Zorn (keine Ahnung, was besser ist). Ich lande sonst wohl unweigerlich in Resignation.
Was kann ich tun?"
Es hängt einfach so viel zusammen und von allem ab, die Auswirkungen gehen so tief bis ins privateste…
Vielleicht denk / grübel ich auch zu viel rum.
März 7th, 2022 at 22:32
Jemand schrub hier mal, das sei "der beste Online-Therapieplatz", aber das geht ja nur so weit. Wenn man das Gefühl hat, man sei halt nicht irre, weil es da noch andere gibt, die auch nicht wissen, wo sie das, was sie erleben, alles hintun sollen. Macht hoffentlich ein bisschen weniger einsam.
März 7th, 2022 at 22:55
Vielen Dank.
Vielleicht kommt später (andermal) noch mehr.
Aber du hast schon recht, deshalb häng ich hier euch Tag und Nacht rum.
Ich werd völlig gaga, wenn ich sehe, wie die Welt rundrum den Verstand verliert und immer erratischer wird.
(Wobei sich ja eher der Eindruck aufnötigt, daß sie ihn nie hatten, sonst…..)
März 7th, 2022 at 23:02
Damit bist du wahrlich nicht alleine…
März 8th, 2022 at 00:35
"weil Denken nie gelernt hat, Grenzen zu überschreiten."
Also ich habe bei mir ohne Hilfe ADHS diagnostiziert um die nonkonforme Denkweise halbwegs in gesellschaftlichen Einklang zu bringen.
@#7 Diazepam ist hin und wieder ok.
März 8th, 2022 at 03:12
Frau Lehmann zu 5.:
Ich habe mich mittlerweile verabschiedet von dem Gedanken, dass man irgendwie noch etwas gesellschaftlich hier zum besseren, gerechteren ändern kann. Die Kunst besteht darin dies zu erkennen und seine eigenen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen ohne dabei zynisch zu werden.
Tiefgreifende philosophische und politische Gespräche führe ich nur noch mit ausgewählten Personen wo ich tatsächlich noch etwas mitnehme und lernen kann.
Ansonsten kann ich meine Zeit auch völlig "unpolitisch" verbringen…ich liebe die Natur, da besonders die Herpetologie. Ich kann den ganzen Tag am Teich oder Bach-/Flußläufen verbringen. Manchmal nehme ich ein Nachbarskind oder den Kurzen eines Freundes mit und freue mich einen Ast, wenn ich sehe das ich so einen Knirps für etwas begeistern kann.
Der Zug, dass man meint man kann noch etwas verändern, ist längst abgefahren und je eher man das begreift und sich da auch persönlich nichts vormacht, um so leichter lässt sich das ertragen, schliesslich ist es keinem geholfen wenn man schwer depressiv wird.
Die Leute, die Flatter beschrieben hat das sie moralinsauer alles personalisieren haben es in ihrem Opportunismus natürlich leichter, tanzen die doch problemlos auf jeder Party, aber solche Menschen waren mir von jeher suspekt.
"Idealismus ist der letzte Luxus den nur die Jugend hat".
Tan Malaka (02.06.1897-21.02.1949), Unabhängigkeitskämpfer, kommunistischer Philosoph und Bapak (Vater) der Republik Indonesia
März 8th, 2022 at 08:09
Das Unglück des Intellekts liegt oft in der Überbetonung dessen im Alltag: mehr auf die einfachen eigenen Bedürfnisse zu hören entspannt auch den Intellekt.
Warm baden, Tee trinken, sich vom Partner verwöhnen lassen, Sauna, sich ein gutes Essen gönnen, Sonne tanken, Spazieren, einen guten Freund besuchen
März 8th, 2022 at 09:24
Die Flüchtlinge aus Kleinbloggersdorf, die Vertriebenen und Kollaboranten die lasse ich einfach rechts liegen, und gehe stattdessen mal mit meinem inneren Schweinehund spazieren, und dann streicheln ich ihn und sage: „Ganz ehrlich, Bruder, auch wenn Dich alle hassen: Ich finde Dich eigentlich gar nicht so schlimm.“
März 8th, 2022 at 09:49
Nicht umsonst wird im Deutschen "nachdenken" viel häufiger gebraucht als "denken" oder "mitdenken" – offenbar soll das Denken eines Menschen den Bahnen folgen, die ein anderer Mensch vorgedacht hat. Das ist m.E. kein Zufall. "Mitdenken" ist ein hübsches Ideal, sofern es ergebnisoffen beginnen darf. Was nicht ausschließt, dass es Prämissen gibt, aber an deren Wahl unterscheiden sich Weltbilder.
März 8th, 2022 at 09:56
@17 und 18:
Das ist sehr gut.
(Nicht umsonst heißt es ja: Warum denken so wenige Menschen?
– Weil es Schwerstarbeit ist.)
März 8th, 2022 at 10:24
Zur Entspannung sehe ich gerne die Sendung "Wer weiß denn sowas".
Da gibt es eine immer wieder kehrende Rubrik "Wie ticken wir?"
Wenn ich dann erfahre, dass die Hilfsbereitschaft von Menschen, ihr Konsumverhalten und sogar ihre Einstellung gegenüber Fremden durch Raumtemperatur, Umgebung, vorgegebene Farben u. ä. manipuliert werden kann, dann sehe ich doch, wie stark die Menschen durch die Amygdala beherrscht werden.
Die Menschheit ist etwa 5 Millionen alt, kennt seit etwa 10.000 Jahren Zusammenleben in größeren Gruppen und könnte seit etwa 100 Jahren im Zeitalter von "Genug für Alle" leben.
Wir sind noch nicht soweit. Kein Gedanke, den heute ein wirklich kluger Kopf entwickeln könnte, den nicht schon in irgendeiner Form ein griechischer Philosoph der Antike hatte.
3000 Jahre Erkenntnisse ohne Erkenntnisgewinn.
Immer nur einzelne Leuchttürme und eine angstbeherrschte Mehrheit. Als Bonus unterwirft man sich noch mit größter Freude den schlimmsten Tyrannen, Hauptsache ich umgehe den Super-GAU, Verantwortung für mein Leben und das anderer Leute zu übernehmen. Dann lieber ein Leben lang auf der Suche nach Schuldigen bleiben.
Millionen Jahre Evolution im Kampfmodus zum Fortbestand der Art haben die Menschheit zu dem gemacht, was sie heute ist.
Die Menschheit kann nur versuchen lange genug zu überleben, um ihren Gehirnen nach Abschluss der Größenbildung die notwendige Zeit zum Reifen zu geben.
März 8th, 2022 at 11:53
19 juttipat: Noch schlimmer als Zeichen der Unverbindlichkeit "angedacht". Im Jargon von Politikern sehr beliebt.
März 8th, 2022 at 15:49
Wenn man sich mal die grandiosen Erfolge dieser hysterischen Boykotte anguckt (Energiepreise): Europa rammt sich ein Tischbein rein und die Amis lachen sich kaputt. Man fragt sich, woher alle diese Kriecher kommen.
März 8th, 2022 at 16:02
Kommen die vielleicht aus der westdeutschen Gesellschaft?
März 8th, 2022 at 16:15
@22 Das deutsche Interesse ist durchaus die Unterordnung Russlands unwiderruflich festzuschreiben und natürlich dafür im Kampf auch mal einen temporären Nachteil in Kauf zu nehmen. Die Mär, dass die CIA deutsche Politiker massenhaft steuert, kann ich nicht glauben. Natürlich agieren auch Geheimdienste im Verborgenen, natürlich werden konkrete soziale Beziehungen gespannt. Aber das deutsche Kapital an sich vergraulen, so bescheuert kann kein deutscher Politiker sein, dass er das riskiert. Dass ein Kapitalist nicht mehr weiß, wie sein Kontostand ist, das kannst du mir nicht erzählen.
Im Gegenteil klatscht die Industrie über 100 Mia. Aufträge. Denk mal kurz über die Zulieferer der Rüstungsindutrie nach. Da fällt jede Menge Kohle ab für deutsche Kapitalisten.
Der deutsche Staat päppelt im Zweifel die Industrie mit ein paar Krediten, nur der dumme Normalo muss den Aufschlag ggfs. nachhaltig zahlen. Aber der ist ja eh da, um ausgenommen zu werden.
PS: Ich vermute, dass ein Großteil der Aufschläge von Wiederverkäufern eingesackt werden, die auch in Deutschland zu suchen sind. Angeblich liefert ja der Russe die vereinbarten Mengen, ich vermute auch zu vereinbarten Preise. Dass deutsche Politiker sich über die Konditionen ausschweigen, sagt eigentlich schon alles.
März 8th, 2022 at 16:28
Nach wie vor ein schönes Statement.
Verdammt, auch schon wieder 6 Jahre her:
https://fronttheater.de/index.html
März 8th, 2022 at 18:10
@18
Nach-, und Mitdenken kann nicht funktionieren sobald
man von Information abgeschnitten ist.
Man bemüht an dieser Stelle die Legendenschmiede vom
Pöbel und der Elite, so wie sich die Gweinner solcher
Vergleiche gern gefallen und ihre Herrschaft darin begründen.
" Selbst Schuld, du Bildungsverweigerer !"
Dem ist nicht so. Information wird ebenso in aktuellen
Prozessen vorenthalten. Das unsere Medienlandschaft eine
Nachrichten und Informatuonsatrappe ist, muss nicht
gesondert erwähnt werden.
Es mangelt am Denken in Prozessen, und darin mehrere
parallel laufende Prozesse zu einem Ziel hin verwalten
und verknüpfen zu können.
Unsere Elite hat bewiesen, dass sie dies ebenso wenig
beherrscht wie die nette Frau Müller hinter der Käsetheke,
und dies trotz aller Bildungs-, und Informationsvorsprünge.
März 8th, 2022 at 19:13
Thomas Fischer wieder in Form:
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion erklärte vor drei Tagen im DLF, »selbstverständlich« gelte der bemerkenswerte Glaubenssatz »2015 darf sich nicht wiederholen« nicht, wenn und soweit es um Menschen »aus unserem eigenen Kontinent« geht. Selten klang Rassismus edelmütiger.
… Zuletzt durfte man im Wirtschaftsteil lesen, es müsse nun endlich die Rüstungsindustrie in die Förderprogramme wegen Nachhaltigkeit aufgenommen werden. Da ist der Deutsche wie der Russe und die Kakerlake: Keine Ritze bleibt ungenutzt.
März 8th, 2022 at 22:34
@18:das umsonst ist nachhaltig
Euer deutungsHoheit