Noch mehr Schuhfetisch, noch weniger Sitten
Posted by flatter under kunstlyriklamauk[21] Comments
23. Mai 2021 16:36
"Klammheimlich nahm die Zahl dieser Schuhgeschäfte zu. Das ist ja wohl ein bekanntes wirtschaftliches Phänomen, aber traurig, wenn man es wirken sieht, denn je mehr Schuhgeschäfte es gab, desto mehr Schuhe hatte man herzustellen und desto schlechter und immer weniger tragbar wurden sie. Und je weniger die Schuhe tragbar wurden, desto mehr mussten die Leute kaufen, um immer Schuhe an den Füßen zu haben […] Resultat: Zusammenbruch, Ruin, Hungersnot."
Pispot Gargravarr 1980, Übers.: Benjamin Schwarz 1985
Schuhfetisch einmal anders. Derselben Quelle entstammt übrigens einer meiner Lieblingssätze: "Der Wirt tunkte ein Geldstück in eine Bierlache und wir bedankten uns dafür" (A.Dent). Aber wir müssen wohl erst einen Schritt zurückgehen, um grobe Missverständnisse zu vermeiden.
"Fetisch", ein Wort, das die Wikipedia daher auch nicht kennt, hat nichts mit "Fetischismus" zu tun. Ein Fetisch ist nicht etwas Seltsames zum Ficken. Es ist vielmehr ein magisches Ding; etwas, dem geheime Kräfte innewohnen, ein Ding mit Macht und Seele, aus der Perspektive des Erwachsenen in der Moderne also eine besondere Form des Irrtums: In dem geschnitzten Stück Holz wohnt nämlich gar kein Gott, der Teddy war schon tot, bevor ich ihm den Kopf abgerissen habe, und es ist nicht das Geld, das den Dingen ihren Wert verleiht. In aller Kürze gesagt.
Magisches Denken eben; in meinem Lieblingssatz oben rutscht der kindliche Augenschein gleich auf die Zunge: Es passiert immer dasselbe, daher besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Immer, wenn das Geld in die Lache getunkt wird, bedanken sich die Leute. Hunde wissen das übrigens auch. Als die Underdogin noch lebte, lief sie zur Tür, wenn ich auf den Tisch geklopft habe. Andi Scheuer würde sicher dasselbe tun.
Sofort verstanden
Kommen wir zum Schuhfetisch: Immerhin ist Gargravarrs Beobachtung um einige Stufen komplexer; er stellt sogar mehrschrittige Zusammenhänge her. Leider waltet aber auch in seiner Schilderung noch magisches Denken, er spricht der Erscheinung einen Sinn zu, der woanders zu finden ist. Ihm kann das nebenbei auch egal sein, hat sein Körper sich doch jüngst von ihm getrennt; da lässt sich natürlich leicht fetischisieren.
Es sind aber eben nicht die Schuhläden oder ihre Zahl, die zur Qualitätsminderung führen. Es sind zweitens die Ressourcen, die knapper und teurer werden (eine Korrelation, die übrigens auch keine unmittelbare ist), und erstens die Profitraten, die dazu führen, dass "Leder" bald nicht mehr Tierhaut ist, sondern Pappe, die mit einem chemisch gewonnenen Tierhautextrakt besprüht wurde. Eine doppelt geile Idee, freilich nur für Investoren®, halten die Dinger nämlich erstens nicht mehr vom Laden bis nach Hause, weswegen man gleich zwei Paar kaufen muss, und ist das Material zweitens obendrein billiger. Höherer Absatz (nein, nicht der von den Schuhen, du Dödel!) bei höherer Marge also. Supergeil!
Hinter dem magischen und tragikomischen Effekt des Untergangs per Schuhfetisch steht also eine strunzlangweilige und dennoch skandalöse Errungenschaft Sozialer Marktwirtschaft®: Geplante Obsoleszenz. Ich werde immer wieder mit Mundgeruch eingedeckt, wenn ich diese Vokabel zum Besten gebe; halten mich die damit Behelligten doch sofort für einen unfassbar Gebildeten, Klugen, Wissenschaftler, Magier der kompliziertesten Denkkunst. Wenn ich es ihnen erkläre, verstehen sie aber sofort, wie einfach das ist, was sich dahinter verbirgt. Der globale Wettbewerb®! Die Chinesen! Der allgemeine Verfall der Sitten!
Mai 24th, 2021 at 08:34
Wie schön die "geplante" Obsoleszenz in das System integriert ist, konnte ich in meinem Arbeitsleben in der Industrie live und in Farbe beobachten.
Wurde ein neues Produkt eingeführt, fand das immer unter den wachsamen Augen der Geschäftsleitung statt.
Design und Technik waren an dieser Stelle federführend, das Controlling hatte nur Mitspracherecht.
Die sogenannte Null-Serie wurde oftmals im Beisein der Chefs durchgeführt.
Jeder Einwand der Montage wurde direkt aufgenommen und floss in den kommenden Produktionsablauf ein. Sämtliche Zubehörteile waren 100% kontrolliert, damit ja nichts schief geht.
Nach erfolgreicher Produkteinführung widmete sich die Geschäftsleitung anderen Themen, die Stunde der Controller.
Jetzt musste das Produkt mit jeder Auflage gewinnträchtiger werden, Probleme der Produktion wurden wegignoriert.
Ab dieser Stelle durften dann auch die Ameisen das Produkt verschlimmbessern und im "Betrieblichen Vorschlagswesen" nebenbei für kleine Belohnungen die eigene Ausbeutung optimieren.
Spätestens nach einem Jahr hat das Produkt mit Teil 1 nur noch das Aussehen gemein.
Mai 24th, 2021 at 08:46
Gargravarr hab ich noch nie gehört, genauso wie die meisten hier keine Yeezy Boost V 2 kennen. Die Nachfrage nach diesen Schuhen ist trotz astronomischer Preise enorm groß, das Angebot laut Auskunft von Addidas absichtlich streng limitiert, um die Exclusivität des Produkts und den hohen Preis zu sichern. Hab mal welche zum Geburtstag bekommen.
https://tinyurl.com/etnbtd4d
Manche Leute machen daraus ein privates Geschäftsmodell und kaufen bei Ausgabe eines neuen Modells die Shops regelrecht leer, um die Schuhe danach mit enormem Aufpreis bei eBay weiter zu verkaufen. Dabei ist der Ladenpreis in Höhe von 230,– Euro für eine wenig Plastik schon unverschämt. Für getragene Schuhe dieser Marke werden bis zu 500,–Euro gezahlt.
Mai 24th, 2021 at 09:35
Als Hundehalter brauche ich Schuhe zum Laufen,
weniger zum Angeben.
Der Dämpfungsbereich in Trekkingschuhen, unabhängig
von Marke oder Noname, ist auf Wegwerf produziert.
Die Fersendämpfung ist nach kurzer Zeit durch.
Ab da geht man immer bergauf.
Davor waren es die Nähte. Jetzt sind die Nähte besser
dafür die Sohlen schnell erledigt.
Spätestens jeden zweiten Tag gehe ich eine 10km-Runde
bei jedem Wetter übers Jahr.
Mai 24th, 2021 at 09:56
Wers gebrauchen kann.
Die Franzosen halten lange.
Die Dämpfung ist anfangs hart
und "atmungsaktiv" werden die später.
https://tinyurl.com/7exwawmm
Mai 24th, 2021 at 11:46
Frett 3: Das Auge läuft mit. ;-)
Mai 24th, 2021 at 12:27
Reden wir jetzt ernsthaft über Schuhe?? Ein Freund meiner Großen hat(te) ein Sneaker-Blog. Sein Hauptberuf war offenbar nicht Bullshit genug.
Aber okay, ich wollte sowieso Modeblogger werden. Nach 35 Jahren musste ich leider die ollen Dachstein wegwerfen.
Mai 24th, 2021 at 12:32
Oh mein Gott, "17 Menschen versehentlich mit Astrazeneca geimpft"!!!11!!!1!!
Was kommt als nächstes, "Bis zu drei Heuschnupfenopfer ohne Taschentuch geblitzt"?
Mai 24th, 2021 at 12:37
Diese Atlantiker-Heuchelei kennt sprichwörtlich keine Grenzen.
Mai 24th, 2021 at 14:37
Schuhe…? Pah! Wenn der Leihwagen zum Luxus wird – das ist mal eine Kapitalismuskritik! Ich plädiere für härteste Sanktionen!
Mai 24th, 2021 at 14:38
5.
Bei denen läuft das Auge auch mit.
Schlammpfotenabdrücke auf grün sind kaum sichtbar :-)
Mit Dachstein und Meindl kann man gut nach dem Hund werfen.
Zum Gehen sind die zu schwer :-)
Mai 24th, 2021 at 17:41
Wenn du den Link gelöscht hast,
lösche auch meinen "Account".
Mai 24th, 2021 at 17:44
Du hast keinen "Account" und mit jedem Kommentar den Nutzungsbedingungen zugestimmt. Ich lasse mir nicht vorschreiben, welche Links ich hier stehenlasse, während ich für den verlinkten Inhalt verantwortlich bin. Hat nix mit dem Thema zu tun und ist aus der tl;dr-Liga. Ich bin hier nicht der Himbeertoni.
Mai 24th, 2021 at 18:26
Hat eigentlich jemand eine Erklärung parat, warum "Journalisten" seit einer Weile unisono "Belarus" anstelle der jahrzehntelang geläufigen und wortwörtlichen Übersetzung "Weißrussland" schreiben? Die schreiben ja sonst auch nicht "Great Britain" oder "La France". Ist das irgendeine außerordentlich beknackte Form von Virtue Signaling, die sich mir entzieht?
Mai 24th, 2021 at 18:31
"Nutzungsbedingungen zugestimmt" Ist ja wie bei den kleinen Jungs hier.
Wenn du Niveau in deinen Internetauftritt
bringen möchtest, führt das kommentarlose Löschen
unerwünschter Links nicht hinreichend zum Erfolg.
Toni hin oder her !
Mai 24th, 2021 at 18:39
Hätte ich dich doch bloß vorher gefragt! Jetzt weiß ich, warum ich so erfolglos bin. m(
Mai 24th, 2021 at 20:51
oha! welchen schuh ziehst du dir denn gerade an, frett? (er hat "schuh" gesagt! (uuuund, lacher vom band bitte hier einspielen))
Mai 24th, 2021 at 21:43
@Seb(13): Ich nehme an, das ist Resultat des pirouettenartigen Kreiswichsens deutscher Journaille, die im Gefolge einer "Belarusisch-Deutsche(n) Geschichtskommission" einer "Deutsche(n) Gesellschaft für Osteuropakunde" so formuliert, weil angeblich Belarussen nicht aus "Weißrussland" sein wollen, da sie eigenständig seien (sehr überzeugend!). Das Ganze müffelt auch stark nach Atlantiker-Umfeld, ich kann das aber auf die Schnelle nicht verifizieren.
Mai 24th, 2021 at 23:40
@Seb: Man kann vielleicht bei google's Books Ngram Viewer starten und dann unten weiter suchen.
Mai 25th, 2021 at 13:22
Dringende Warnung an alle Leser: Es herrscht eine „hohe abstrakte Bedrohungslage“, dass Putin unseren Wahlkampf mit Fäknius durchrasst. Maaßen, übernehmen Sie!
Noch besser: Für gut 2 Milliarden Euro will sich die Berliner Wohungsmafia teilenteignen lassen. Yeah, Kapitalismus einhegen®! Im WDR hieß es derweil, sie wollten die Mieten künftig nur noch "leicht erhöhen". Nur bis das Blut spritzt, versprochen!
Mai 25th, 2021 at 13:31
@17/18
danke sehr.
Mai 26th, 2021 at 14:15
#19 Es ist noch viel besser: Der Verkauf soll hauptsächlich zwei Satellitenviertel betreffen (Falkenhagener Feld, Thermometersiedlung), die gemeinhin als soziale Brennpunkte gelten und die die Bilanzen des neuen Großkonzerns eher schmälern: Da ist viel zu investieren und wenig zu holen. Mit dem Erlös Verkaufs soll dann die Übernahme der "Deutsche Wohnen SE" durch Vonovia finanziert werden.
Das heißt, der Staat finanziert die Fusion und übernimmt die Altlasten.
Größter Einzelaktionär der Vonovia ist übrigens Blackrock. Friedrich Merz wird SPD wählen.