Eines von vielen Beispielen für Politik, die nicht fähig ist, ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen, nämlich Gesetze zu erlassen, ist der ganze 'Diskurs' um "Hassbotschaften", "Hatespeech", Beleidigung und Volksverhetzung. Dass dabei das Tor zur Zensur konkreter Meinungen weit aufgestoßen wurde, letztlich durch das Gesetz gegen "Holocaustleugner", soll an dieser Stelle einmal außen vor gelassen werden.
Angesichts des Konflikts in Gaza, wie er 2023 eskaliert ist, wird das deutlich. Einer meint, die Palästinenser müssten "den Sieg davontragen", ein anderer vergleicht das massenhafte Töten unter dem Befehl Netanjahus mit dem Holocaust. Moralisten springen auf die Palme und von dort aus dem Busch, um das schnell und hart bestrafen zu lassen.
Fluch des Einzelfalls
Was sie offenbar nicht verstehen, ist die Universalität des Rechts im Bürgerlichen Rechtsstaat und dass diese durch Moral zerstört wird. Universalität heißt hier, dass das Wesen des Rechtsstaats darauf beruht, ein Maß und ein Prinzip für alle Fälle zwingend vorzuschreiben. Was dem einen verboten ist, muss auch dem anderen verboten sein. Was dem einen auferlegt wird, muss auch jedem anderen auferlegt werden – unter denselben Bedingungen, versteht sich.
Wenn also grundsätzlich eine Solidarisierung mit einer Volksgruppe erlaubt ist, kann es nicht verboten sein, das unter denselben Umständen auch mit einer anderen zu tun. Wenn es hingegen verboten ist, etwa kriegerische Handlungen einer Gruppe oder eines Staates zu befürworten, dann muss das auch für jeden anderen gelten.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt gegenüber der handelnden Person wie gegenüber der Sache. Dieser wird aufgehoben, wenn Moral eine Gruppe als 'gut', eine andere aber als 'böse' markiert und daraus (straf)rechtliche Maßnahmen gründet. Genau diese Form der Willkür soll der Rechtsstaat überwunden haben. Das Prinzip ist die Grundlage des Rechts und nicht das Machtwort der Regierung oder die Moralvorstellung der Abgeordneten eines Parlaments.
Zurück ins Mittelalter
Selbst kriminelle Handlungen, die aus einer Gruppe hervorgehen oder Verbrechen einer konkreten Regierung dürfen daher nicht dazu führen, dass Sympathiebekundungen für die jeweiligen Gruppen oder Staaten unter Strafe gestellt werden. Man würde hier nicht nur der Willkür das Feld bereiten, sondern obendrein rationale Differenzierung verbieten, weil sie nicht der herrschenden Moral entspricht. Das ist der Rückfall ins Mittelalter. Russland ist nicht Putin, die Hamas nicht Gaza und Mitleid keine Zustimmung zum Terror.
Selbst Letztere zu verbieten hat schon schwerwiegende Konsequenzen. Zustimmung ist keine Anstiftung und daher keine Mittäterschaft, nicht einmal mittelbar. Die Zustimmung zu Krieg und Gewalt wird von dieser Gesellschaft und ihren Massenmedien einerseits bewusst gefördert, wenn sie der gängigen Moral entspricht; dann kann sie nicht strafbewehrt sein, wo es politisch opportun ist – oder welches universelle Prinzip soll dies begründen?
Recht ist kein Spielzeug für naive Dilettanten. Leider muss niemand für nichts qualifiziert sein und kann sich trotzdem zum Gesetzgeber wählen lassen. Die daraus folgende Scharlatanerie müssen dann jeweils Gerichte korrigieren, wenn sie dazu kommen. Das ist sehr dünnes Eis.
November 3rd, 2023 at 16:19
"Russland ist nicht Putin, die Hamas nicht Gaza und Mitleid keine Zustimmung zum Terror."
Ganz zentraler Satz!
Trotz aller (Corona-)Differenzen die wir so hatten, hier stimme ich Dir vollumfänglich zu! Die (Hyper-)Moralisierung von Recht, Gesetz, Politik und Diskurs, führt am Ende zu Willkür und Tyrannei. Denn wer als "gut" oder "böse" bezeichnet wird, braucht nicht zu glauben, dass das von Dauer ist. Eine neue Regierung, eine neue Partei oder veränderte geopolitische Interessen – und schon sind die "Guten" nun die "Bösen" und umgekehrt.
November 3rd, 2023 at 16:54
Es geht im Gaza-Konflikt um beiderseitiges Unrecht. Den Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt unsere Rechtsordnung aber nicht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) ist vermutlich das Falsche Instrument.
November 3rd, 2023 at 17:14
Es geht um Gleichbehandlung der Äußerungsfreiheit und nicht darum, den Konflikt zu beurteilen. Es geht nicht um Hamas oder Israel, sondern um Abu Chakr und andere. Nicht die Kampfhandlungen werden hier gerichtlich verurteilt, sondern die Äußerungen dazu. Es geht darum, eine unmoralische falsche Meinung äußern zu dürfen, weil genau darin Meinungsfreiheit besteht.
November 3rd, 2023 at 18:33
Die Moral hat sehr viel mit Sozialisation und Existenzumständen zu tun, wie auch die Toleranz. Beides relativ prima als Wegweiser, aber als Keule unbrauchbar. Meinungsfreiheit macht nicht frei wenn Diskurs nicht ermöglicht wird weil der Primärreflex (Abgleich des Beobachteten mit Moral und Toleranz und bei Abweichung ausflippen) oft bequemer und zeitökonomischer zu sein scheint als auffassen und vielleicht ein Verständnis zu entwickeln. Doch wenn medial Verständnis mit Einverständnis gleichgesetzt wird ist das vergeblich. Die resultierende Clickbaithölle ist wohl der Preis für Informationszeitalter und Echtzeitvernetzung.
November 3rd, 2023 at 18:37
Die Geschichte mit diesem Fußballer hier erschließt sich mir auch nicht. Was wollen die? M.E. ein klarer Verstoß gegen Arbeitsrecht und obendrein ein Beleg beeindruckender Dummheit.
November 3rd, 2023 at 20:20
FSV Mainz kündigt El Ghazi
November 3rd, 2023 at 20:42
Oh, ich dachte, das hätte oben schon dringestanden. Danke.
November 3rd, 2023 at 20:45
#3: Ne ne ne. Du schreibst doch "Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt gegenüber der handelnden Person wie gegenüber der Sache." S a c h e.
Hass, Rassismus und Antisemitismus werden hier in den Status der "freien Meinung" erhoben. Hab ich was verpasst?
November 3rd, 2023 at 20:58
Du könntest versuchen, ein Verständnis zu entwickeln, das den Text widerspruchsfrei liest, ehe du einen konstruierst. "Gegenüber der Sache" bedeutet nichts anderes, als dass die Sache als solche, in ihrer Qualität und Struktur, unabhängig von konkreten Inhalt sein muss. Entweder darf ich einen Krieg (Sache) befürworten oder ich darf es nicht. Es kann nicht davon abhängen, welches Land ihn führt. Entweder ist etwas strafbar oder nicht; es darf nicht davon abhängen, ob es gerade opportun erscheint oder nicht.
November 5th, 2023 at 18:52
@3 "Äußer'ungsungs'freiheit"
November 5th, 2023 at 19:04
thnx, ist korrigiert.
November 7th, 2023 at 11:49
Mein Bäcker sammelt für ein "ökumenisches" Kinderprojekt. Was mag "ökumenisch" heißen? Von vorn und hinten?
November 9th, 2023 at 23:14
Was sie offenbar nicht verstehen, ist die Universalität des Rechts im Bürgerlichen Rechtsstaat und dass diese durch Moral zerstört wird.
Sehr schön gesacht. Danke für diesen Post