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Eine Ordnung kann noch so abenteuerlich sein; wenn sie einmal besteht, werden die Menschen, die sich an sie gewöhnt haben, sie verteidigen. Andererseits gibt es keine größere Bedrohung für eine Ordnung als sie selbst. Wenn die Rituale, Erzählungen und Regeln nicht mehr greifen oder – schlimmer noch – das Überleben der unter ihr lebenden Menschen in Gefahr ist, beginnt ein Auflösungsprozess.

Diese Auflösungsprozesse gehen mit Abspaltungen einher. Die Ersten, die erkennen, dass die Ordnung nicht mehr taugt, sind die Ersten, die angefeindet werden. Man hängt nur zu gern den Boten. Außerdem sind Alternativen eben nicht schnell bei der Hand. Selbst die Zweifler möchten so viel wie möglich von der alten Ordnung behalten – hat sie doch bislang für alle gut gesorgt und zeigt nur hier und da Unzulänglichkeiten, auch wenn diese den Bestand der ganzen Spezies gefährden.

Rebellen

Einige werden dennoch Ideen haben, wie die Welt nach der Umwälzung aussehen soll. Allzu menschlich ist hier der Ruf nach einem personellen Wechsel. Aber der neue Schamane, Fürst oder Präsident hat nicht nur mit denselben Problemen zu tun, sondern auch noch innerhalb derselben Ordnung, der er obendrein selbst entstammt.

Radikal war schon immer die 'Lösung' der Autokratie, am besten mit einem (vermeintlichen) Alleinherrscher. Die frühen Gesellschaften, die italienischen Tyranneien, Diktaturen, Faschismus – jetzt kann mal einer zeigen, dass er der Richtige ist und alles wieder gut wird. So wie Papa das halt macht. Die kindliche Projektion einer Allmacht auf einen 'starken Mann' ist der Klassiker der Regression. Hat noch nie geklappt, aber dafür müsste man etwas von Geschichte wissen.

Die Auflösungsprozesse sind durch solche und ähnliche Wahnideen geprägt, weil nicht diejenigen den Diskurs bestimmen, die den Durchblick haben, sondern diejenigen, die am eifrigsten gegen die lästige Ordnung palavern. Auf der anderen Seite immer die Wahrer des Status Quo, die folgerichtig immer reaktionärer werden. Für fortschrittliches Denken ist fast immer am wenigsten Raum, wenn es am dringendsten gebraucht würde.

Reaktion

Die Angst vor der neuen Ordnung ist verständlich, bedroht sie doch die Integrität jedes Einzelnen. Nehmen wir einmal ein sehr abstraktes Beispiel, das deswegen auch noch harmlos ist: Wenn Materie nur gebundene Energie ist, wenn es also überhaupt nichts Festes gibt in der Welt, wie soll man das verstehen? Warum kann ich dann etwas anfassen? Nun wird niemand dieses Wissen in die Angst umwandeln, sich im Universum zu verlieren, weil man überall durchflutscht.

Wenn man hingegen nicht mehr weiß, was ist und was nicht ist in einem Zusammenhang, in dem man sich orientieren muss, ist die Angst verloren zu gehen sehr konkret. Es ist u.a. von psychischen Krankheiten bekannt: Wenn ich an meinen Gefühlen, Worten und Taten zweifeln muss, weil ich nicht mehr einschätzen kann, was richtig ist, was falsch, was krank und was 'normal', verliere ich den Halt.

Abgründe

Genau das aber droht beim Wechsel einer Ordnung. Jede enthält tausende Orientierungsmarken dessen, was eben 'normal' ist und was nicht, was gut und was schlecht, falsch oder richtig. Wenn das, was gestern noch richtig war, heute falsch ist, wird man ja verrückt. Gegen solche Veränderung wehrt sich alles.

So kommt es in der Regel zu fürchterlichen Zuständen, Gewalt, Chaos, Geisterglauben. Erst wenn die alte Ordnung völlig zusammengebrochen ist und folgende – meist vorgestrige – Experimente scheitern, kann aus der Notwendigkeit des Überlebens unter den jeweiligen Bedingungen eine neue Ordnung entstehen. Ähnlichkeiten mit aktuellen Entwicklungen könnt ihr behalten.