Vom Rechtsstaat und wie er missverstanden wird
Posted by flatter under politik[9] Comments
03. Feb 2022 15:11
Das mit dem Recht ist so eine Sache. Ähnlich wie das mit der Wissenschaft, ist es nicht jedermanns Sache, es zu verstehen bzw. korrekt auszulegen. Abgesehen von dem System aus Gesetzen und Urteilen, das auf dem je aktuellen Stand bekannt sein muss, scheitert ein Verständnis häufig schon an den Definitionen.
Das naive Verständnis von Recht, Gesetz und vor allem sogenannten "Rechten" ist gleichbedeutend mit Unkenntnis, mithin ein einziges Missverständnis. Heute möchte ich einmal auf einige Details hinweisen und was daraus folgt. Für den Anfang eines meiner Lieblingsgesetze, der Grundgesetzartikel 5.
Deine Meinung
Dort ist u.a. festgelegt, dass jeder "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei [zu] äußern und [zu] verbreiten" darf. Wie schon oft erwähnt, bedeutet dies nicht, dass man jedem diese Möglichkeit einräumen und die Bedingungen dafür schaffen muss, sondern nur, dass der Staat dies nicht verbieten darf – es sei denn.
Wie schon in Absatz zwo steht, gilt auch das nur eingeschränkt:
"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."
Da ist verdammt viel Spielraum für gar nicht so viel Meinungsfreiheit. Sogar staatlicherseits ist das Grundgesetz kein Schutz gegen Maulkörbe. Siehe auch verschiedene Formen der Majestätsbeleidigung.
Wer in einem Rechtsstaat lebt, sollte sich tunlichst darüber orientieren, was das im Einzelnen bedeutet. Zum Beispiel die wunderbare Liste schwerer und besonders schwerer Straftaten.
Zwischen den Zeilen
Wenn die Parlamentsmöblierung also wieder einmal salbadert, es gehe "nur um schwere Straftaten", muss man sich klarmachen, dass das quasi alle sind. Selbst die "besonders schweren" sind so weit gefasst, dass sich niemand wundern kann, wenn die Exekutive vor Ort sich eigentlich immer zu allem berechtigt fühlt. In der Regel liegen sie damit ja richtig.
Überhaupt ist gerade das Grundgesetz eine naheliegende Quelle, wenn man sich über die Basis der BRD orientieren will. Schon die Präambel, die mit der "Verantwortung vor Gott" anhebt, weist den Weg, und bereits in den ersten Artikeln wird deutlich, welchen Stellenwert die Religion in diesem rückständigen Gefüge hat. Die beiden großen Kirchen stehen folgerichtig über dem Gesetz. Das ist ein Feature.
Februar 3rd, 2022 at 15:38
Im Bewußtsein der Verantwortung vor WELCHEM Gott eigentlich, steht nirgends in der Präambel. Gilt auch Jehova, Zeus, Manitu? Odin/Wotan, Kon-Tiki, Karel? Der Gott des Gemetzels? Wer soll sich da auskennen.
Februar 3rd, 2022 at 16:57
Ich glaube (ha, witz!), die meinen den aus omg.
Februar 4th, 2022 at 11:22
Duke, Link zu besonders schweren Taten funst nich.
Das mit den Kirchen ist leicht zu verstehen, glaub' ich ;-), das mit dem rückständigen Gefüge eher weniger: Willst Du sagen, dass das GG ein "rückständiges Gefüge" ist?
Februar 4th, 2022 at 11:37
Danke, ist repariert. Und ja: Das GG und die BRD waren m.E: von Anfang an rückständig.
Februar 6th, 2022 at 21:37
Wer in einem Rechtsstaat lebt, sollte sich tunlichst darüber orientieren, was das im Einzelnen bedeutet.
Mit den Gesetzen ist es ja nicht getan. Wichtig ist, die Rechtsauslegung zu kennen.
Mit den Informationen dazu sieht es mau aus: Open Legal Data: Das Fundament des Rechtsstaates
Februar 6th, 2022 at 21:59
Nach meiner Erfahrung sind ohnehin meist Urteile der Leitfaden, nicht Gesetze – auf die sich sich jene beziehen. Die Rechtspraxis steht aber m.E. durchaus in einer Linie mit der ideologischen Basis der Gesetze. Wer etwa eine naive Vorstellung von "Freiheit" pflegt, wird das System nicht verstehen.
Februar 6th, 2022 at 22:34
Und zu einem Rechtsstaat unserer Prägung (…intended) gehört natürlich auch die Polizei.
Februar 8th, 2022 at 11:55
Anwalt Chan-jo Jun: Das @BVerfG schreibt Rechtsgeschichte…
Februar 10th, 2022 at 17:18
OT – Brooklyn Rail hat übrigens auch die zwei besten Artikel zur gegenwärtigen 'Inflation', die mir bislang untergekommen sind. Wobei ersterer nebenbei auch noch einen kompakten Überblick über die bisherigen 'Wirtschaftsepochen' unseres geliebten Systems nebst der jeweiligen theoretischen Verbrämung bietet.