Ich hatte lange Zeit hier eine bewegte Diskussion mit vor allem einem Kommentator über die Frage, wie man es wohl mit einem Staatssozialismus hielte. Aus aktuellem Anlass (Anmerkungen in den Kommentaren) greife ich das noch einmal auf.
Vorab: Staatssozialismus, zumal der Leninscher Prägung, ist ein komischer Kapitalismus. Es gibt vor allem eine Geldwirtschaft und Lohnarbeit. Den Mehrwert, den die Arbeiter erwirtschaften, verwaltet der Staat, der auch plant und beschließt, was wie wo produziert wird.
Lenins Kapitalismus
Der Unterschied zum 'normalen' Kapitalismus besteht also darin, dass der Staat anstelle der Eigentümer entscheidet und über alle Mittel verfügt. Die Lohnabhängigen bleiben von der Gnade Dritter abhängig, und obwohl sie offiziell – als Staatsbürger – eigentlich Eigentümer sind, bleiben sie entmündigt.
Wirklich demokratische Gegenmodelle müssen also davon abweichen, indem endlich die Arbeiter selbstbestimmt produzieren und planen. Niemand vertritt sie, sie bestimmen mithin, was wie und wo produziert wird. Komplexer wird das Ganze dadurch, dass nicht beliebige Ressourcen überall vorhanden sind, die Arbeiter sich also regional und überregional solidarisch koordinieren müssen.
Damit sind zwar weiterhin politische Instanzen an den Prozessen beteiligt, aber durch imperative Mandate und direkte Beteiligung an überregionalen Entscheidungen (z.B. per Internet) kann leicht verhindert werden, dass die Koordination wieder zu einer Machtballung führt. So viel in extremer Kürze zu Modellen, welche die Aneignung des Mehrwerts durch Staat oder Eigentümer verhindern.
Der andere Weg
So etwas kann man nicht aus dem Boden stampfen; es muss sich entwickeln. Ich persönlich halte es für ausgeschlossen, dass solche Selbstbestimmung sich innerhalb eines kapitalistischen Systems entwickeln kann. Sobald derartige Modelle erfolgreich wären, würden sie durch die Konkurrenz der Eigentümer zunichte gemacht werden.
Die Gefahr, aus welcher Not auch immer, in einer nicht mehr zu beherrschenden Krise des Kapitalismus eine staatssozialistische Lösung zu wählen, ist mehr als real. Diese ist die Regel etwa in Kriegs- oder Nachkriegsphasen, in denen der Staat über die Verteilung er lebensnotwendigen Ressourcen entscheidet und nach einer Phase der Stabilisierung die künftige Struktur festlegt. Das ist oft ein Reset des Kapitalismus, einschließlich der Beibehaltung privaten Grund- und sonstigen Eigentums.
Die Frage, die sich mir stellt, ist die – denn das wäre das Maximum an Einigkeit dessen, was sich 'links' bislang entwickelt hat – ob es denkbar wäre, über einen Staatssozialismus in die Gegenrichtung zu wandern: Enteignung von Grund- und Privateigentum* sowie die Einrichtung ökonomischer und politischer Entscheidungsstrukturen unter Maßgabe allgemeiner Selbstbestimmung. Ohne Herren oder Sklaven.
*Für Spezialexperten: "Privateigentum" meint das Eigentum an Produktionsmitteln wie Fabriken, nicht das selbst bewohnte Reihenhaus oder die Zahnbürste.
September 23rd, 2024 at 18:40
Die Bahn, dieser verdammte Kommunistenkonzern.
September 23rd, 2024 at 21:46
Hier hat jemand die Probleme mit dem Geldsystem (Geld "schöpfen", verteilen und mit Zinsen zurück zahlen und Geld als Ware) nochmal benannt:
Link entfernt; rtfm. ein 2:40 std.-Video gucke ich mir schon nicht an, wenn es nach etwas Zielführendem klingt. säzzer
"Wir" sind hier gelandet durch irgend eine Art "Kulturelle Evolution".
Es mündet dann in eine Utopie, wonach alle Beteiligten sich auf vernünftige Lebensmaxime einigen und diese in einer "entropiearmen" Infrastruktur umsetzen.
Da finde ich das Szenario von Andreas Eschbach, das er in "Freiheitsgeld" entwirft, schon etwas abgeklärter und näher an der Realität.
Wenn es stimmt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, kann mit unseren kaputten Hirnen einfach kein Ausweg aus der evolutionären Sackgasse gefunden werden. Dazu müsste man eine Soziologen-KI auf unseren Nachwuchs loslassen, damit der befähigt wird, es besser zu machen als wir…
September 23rd, 2024 at 21:55
@Zoni: Wie wäre es mit: keine Äquivalenzen? Zumindest wurde das hier über Jahre ein bisschen herausgearbeitet.
September 23rd, 2024 at 22:10
Nur Kapitalismus braucht Geld, und auch vermeintliche Tauschmittel® diskutiere ich nicht. Das ist Steinzeitökonomie.
September 24th, 2024 at 01:25
Für mich ist es denkbar über einen Staatssozialismus in die Gegenrichtung zu wandern. Allerdings müssten die Voraussetzungen dafür gegeben sein. Es wäre nur möglich wenn, der derzeitige Hegemon "besiegt" wird, also nicht mehr seine globale kapitalistische Macht auf andere Staaten ausüben kann.
Für den Staatssozialismus als solches muss gelten, alles was zur Macht des Kapitals gehört darf keine Gültigkeit mehr haben – Geldwirtschaft, Produktionsmittel, Eigentum usw. – . Die kapitalistischen Denkmuster müssten von allen Menschen ganz abgelegt bzw. abgelehnt werden. Nötige Organisationen innerhalb dieser Staatsform dienen nur dem Allgemeinwohl und verfügen über keine Mittel zur Machtausübung, in welcher Form auch immer.
Ein Staatssozialismus wie er in der Vergangenheit schon in einigen Ländern vorhanden war, wäre keine geeignete Lösung. Dazu muss aber auch erwähnt werden, dass diese "Varianten" zum Staatssozialismus nicht als eine Übergangslösung dienen konnten, weil die Macht des Kapitals im globalen Maßstab diese Staatsformen mit aller Macht bekämpft hat. Daher war bzw. ist (siehe China) die Entwicklung der Staaten gehemmt oder sogar unmöglich eine eigene bessere und menschenfreundliche Entwicklung zu voranzutreiben. Vielleicht wäre einiges anders gelaufen.
Das ablehnen kapitalistischer Denkmuster, wird wohl die größte Herausforderung sein. Ich denke, die Menschen werden dazu erst in der Lage sein (ohne eine Art der "Umerziehung"), wenn alle bei "Null" wieder anfangen müssen. Also nach einem Zusammenbruch der kapitalistischen Machtverhältnisse und somit durch Nichtvorhandensein der gewohnten Lebensumgebung etc..
Unter kapitalistischen Bedingungen halte ich eine Transformation für ausgeschlossen. Jede noch so kleine Bewegung oder Emanzipation wird durch die vorhandenen Machtstrukturen zerstört oder in eine Richtung gelenkt, die letztendlich wieder die Machtstrukturen stärkt, die Menschen weiter ins Elend und unter die Knute der Herrschaft treibt. Keine Aussicht auf menschenfreundliche Veränderungen, die von Bestand sind.
Der Staatssozialismus wäre dann eine Übergangslösung und am Ende kann ggf. ein Reststaat übrig bleiben. Die Menschen entscheiden, wann sie was, wollen und brauchen. Es ist ein sehr langer aber erstrebenswerter Weg.
PS: Hoffentlich habe ich nicht zu viel wiederholt. Wurde ja schon so viel geschrieben und diskutiert. Tja, viel Text ist es auch wieder, sorry!
September 24th, 2024 at 01:38
Ich habe gestern im lokalen DKP-Büro ein Büchlein zum Thema entdeckt. Einerseits ist es außerordentlich peinlich, andererseits ist es ziemlich verlockend, es mal zu sezieren. Aber nicht mehr heute.