sozialzeugs


 
xx

Wie ich neulich darlegte, übernimmt das Völkische den Klassenkampf, weil sich sonst niemand drum kümmert. Dabei kann es ganz nebenbei noch auftrumpfen mit der vermeintlichen Befriedigung von Grundbedürfnissen, wo Pseudolinke ihre Atomisierung noch feiern. Am Rande wäre es auch interessant, einmal den diesbezüglichen Effekt von Corona zu analysieren – jenseits von Geheimplänen und blinder Gefolgschaft. Im Folgenden ein Kennstduschon:

Der Begriff "Heimat" oder Abwandlungen davon gehören definitiv in die politische Debatte – wobei mir weniger aufgeladene Synonyme lieber wären. Den Kern der rechten Heimatbesoffenheit bildet aber durchaus eine Kritik – ein sich Abgrenzen von dem, was Politik mit unserem Zuhause anstellt. Das kann wütend sein oder kitschig, rückwärtsgewandt und fremdenfeindlich; es kann aber auch bedeuten, dass man sich für das Bedürfnis nach einem Minimum an Ruhe und Geborgenheit einsetzt, das niemandem mehr bleibt, wo der Kapitalismus die Menschen zu reinen Funktionsträgern degradiert.

Ich habe neulich noch die Geschichte gehört von einem Fußballprofi, es mag in den 70ern gewesen sein, der im Stahlwerk gearbeitet hat und dort auch gar nicht weg wollte. Vielleicht ebenfalls eine Legende, aber es deutet an, was sich hinter dem Komplex "Heimat" verbirgt. Man gehört dazu. Man kennt sich aus, hat sein Standing, ist ein Teil davon. Man wird geboren, lebt und stirbt irgendwo. Niemand macht es einem streitig. Dafür stellt sich mancher sogar freiwillig vor einen Hochofen.

Dazugehören

Es war in früheren Jahren den Karrieristen und bestimmten Berufen vorbehalten, geschäftlich nicht nur unterwegs zu sein, sondern auch regelmäßig den Wohnort zu wechseln. Diesen Deal konnte man eingehen oder nicht, die Meisten betrafen derlei Möglichkeiten gar nicht. Nomadentum (und Monadentum; Witz für Auskenner) war ein selbst gewähltes Schicksal, das mit höherem Einkommen vergolten wurde, und selbst diesen Menschen blieb die Möglichkeit, irgendwann zurückzukehren. Man hatte gemeinhin einen Beruf, einen Betrieb und Kollegen, die man kannte.

Inzwischen verlangt uns die große Maschine längst totale Mobilität ab, und zwar ohne Gegenleistung. Im Gegenteil wird gerade den Arbeitenden Armen vorgeschrieben, was sie zu arbeiten haben, wohin sie dafür zu gehen haben und dass sie das auch gegen minimale Bezahlung müssen. Wer in einer Großstadt wohnt, die nicht gerade verkommt, wird aus der Innenstadt vertrieben, und selbst an den Stadträndern arbeitet man hauptsächlich für den Vermieter. Wer dieses Elend noch nicht erlebt, der weiß, dass es ihm droht. Das ist Gesetz, das sagt sogar die Partei für Soziale Gerechtigkeit®.

Millionen hinterlässt das frustriert, wütend, ängstlich und mit dem diffusen Bedürfnis nach ein bisschen sozialer Sicherheit. In dieses Bedürfnis grätscht die Rechte mit Bildern von stolzen Deutschen in schöner Landschaft hinein, die sich gegen die fremde Bedrohung wehren. Diese wiederum hat eine Hautfarbe. Das ist konkret, das kann man anfassen, darin kann man Frust und Wut kanalisieren. Was es nicht kann, ist die Wirklichkeit begreifen und die Bedürfnisse auch nur annähernd real befriedigen.

Welches Problem?

Die Linke hat hier überhaupt keine Konzepte. Die pseudolinken Kinder der besser situierten Mittelschicht kämpfen für eine ideale Welt, in der ihre Probleme durch Vorschriften und Verbote gelöst werden sollen. Diese Probleme betreffen die überwältigende Mehrheit der Menschen gar nicht. Zu den Bedürfnissen der Mehrheit aka Unterschicht, die sich in den o.g. Bildern und Scheinlösungen äußert, fällt ihnen schlicht überhaupt nichts ein. Dabei wären gerade regionale Konzepte, greifbare Solidarität und ein konkretes Miteinander eine politische Ebene, auf der man etwas bewegen kann, und zwar nachhaltig.

Was fehlt, sind sowohl Ideen als auch vor allem Organisationen. Arbeitervereine, Gewerkschaften, Betriebsräte, waren darauf angewiesen, dass sie vor Ort und allgemein abbildeten, was sich in der Unterschicht tat. In einer Welt voller Betriebe mit festen Belegschaften waren sie eine Macht. Als Tarifdealer in einer abstrakten Arbeitswelt, in der sich niemand mehr (aus)kennt, sind sie nur ein Rad unter vielen. Ihre Vertreter wohnen auch nicht mehr nebenan, sie haben ein Büro in der Stadt.

Es braucht gegen den Druck in die Vereinzelung neue Formen der Begegnung und der sozialen Bindung. Man muss sich treffen und miteinander sprechen. Der Trend geht hingegen in die Eiswüste einer Isolation, die uns als "Digitalisierung" auch noch wie ein Segen verkauft wird. Die Pseudolinken verbieten derweil das Rauchen in Kneipen, damit die Asis in ihren Käfigen bleiben. Ich ahne dennoch in diesem Sog einen Ansatz zum Gegenteil. Wir können nicht allein leben. Diese Einsicht bricht sich auch und gerade Bahn im Gedusel um "Heimat". Ein Gegenkonzept muss Formen gegenseitiger Fürsorge anbieten, die nicht in "Sozialreformen" besteht, sondern in konkreter gegenseitiger Unterstützung.

 
xx

Die alten Gegner der Linken und ihre Ideologie werden heute von einem Liberalismus bekämpft, der weder etwas Substanzielles gegen Nationalismus einzuwenden hätte, noch gegen Identität oder Religion. Im Gegenteil hat er 200 Jahre lang diese Ressourcen ausgenutzt. Sie sind aber dem atlantisch-neoliberalen Lager derzeit zuwider, weil die aktuelle Herrschaft eine atomisierte Gesellschaft bevorzugt.

Nation, Glaube, Identität stehen für das Bedürfnis nach Gemeinschaft. Gegen Russland wird auch dieses Bedürfnis bekämpft, da sich das reaktionär-religiöse Menschenbild für beide Seiten als ideologische Basis anbietet. Während es aber im Osten Identität stiftet, zerfällt diese im Westen. Identitäre sind hier inzwischen großenteils 'Linke', die in Wokeness, Naturmedizin, Diversität (wie paradox!) und dergleichen zerfasern.

Amen Halleluja

Die Basis dieser Front ist ein kaum sublimierter Protestantismus. Seelenheil erwirbt man sich nur im Diesseits, durch gnadenlos richtiges Leben. Selbstdisziplin ist gefragt, es kann gar nicht genug Normen und Vorschriften geben, die einzuhalten den guten Menschen ausmacht. Gleichzeitig entsteht automatisch ein Böses, von dem man sich abgrenzt. Das ganze Leben ist durchmoralisiert.

Schon immer war die katholische/orthodoxe Gemütlichkeit ein Kontrastprogramm zur Askese ohne Aussicht auf Sicherheit. Wir sind alle Sünder, daher sündigen wir. Dann gehen wir beichten und danach kippen wir uns beim Frühschoppen einen hinter die Binde. Der Protestant hingegen muss dauernd alles richtig machen und weiß trotzdem nicht, ob er gut genug ist. Er kann dafür immer welche finden, die ganz sicher schlechter sind und sich an denen moralisch abreagieren.

Die dem Kapitalismus angepasste Form dieser Moralität ist kaum mehr direkt religiös. Das Gutmenschentum hat sogar die Sexualmoral auf den Kopf gestellt und das ehedem Perverse für heilig erklärt. Mit dem Rassismus verfuhr es ebenso. Die größte Errungenschaft für den Kapitalismus ist dabei die der Ideologie innewohnende Atomisierung. Es gibt jetzt 80 Gender. Wer an zwei Geschlechter glaubt, ist rechts. Die Mehrheit der alten Weißen ist sowieso Abschaum.

Jeder gegen jeden

Das Ganze ist derweil voll kompatibel auch mit Antikommunismus. Derselbe, Antireligiosität (meint: gegen traditionelle Religion) und Antinationalismus entspringen derselben kapitalistischen Herrschaftstechnik, den Pöbel zu entsolidarisieren. Die Restlinke im Westen schließt sich dem aus einer freidrehenden Pseudoaufklärung an. Jeder hat seinen Platz und seinen Wert im System, das als solches alternativlos wirkt. So alternativlos, dass es gar kein Thema mehr ist.

In der Auseinandersetzung der kapitalistischen Kriegsparteien, ihrer jeweiligen antiaufklärerischen und reaktionären Konzepte dürften dabei China, Indien und Russland deutlich stabiler davonkommen als der Westen, der die Aufklärung und den Laizismus endgültig vergeigt hat. Die Entsolidarisierung kommt dem kapitalistischen Verwertungsprozess nur so lange zugute, wie er stabil ist. In Krieg und Rezession aber beschleunigt sie den Niedergang.

 
xx

Vor Jahren schrub ich:
Ein wenig Verstand könnte Abhilfe schaffen um zu begreifen, was gerade diejenigen auszeichnet, die abends nicht ins Bett kommen und morgens nicht heraus. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum sich ein halbwegs gangbarer 24-Stunden-Rhymthmus einstellt, der eben nach hinten verschoben ist.

Vor allem ein Phänomen ist für mich aber das interessanteste, nicht zufällig, da es mich selbst betrifft. Seltsamerweise sind 24 Stunden einfach nicht genug. Am Wochenende, das kenne ich seit meiner Kindheit, werden die Tage und Nächte länger. Freitags geht es später ins Bett, samstags viel später raus. Samstagnachts wird es dann gern noch einmal später und sonntags wird bis mittags geschlafen.

Arhythmie

Aus einiger Erfahrung mit einem krisenhaften Leben erscheint mir das aus heutiger Sicht nicht bloß ein anderer Rhythmus zu sein. Es ist vielmehr doch Faulheit. Wer aber hätte sich je mit der Genese der Faulheit befasst? Dazu sind diejenigen, die Menschen mit ihrer vermeintlichen Faulheit identifizieren, noch immer zu faul gewesen. Holen wir das endlich nach:

Kern der Faulheit ist eine andere Form der Einsicht. Sie darf sich erstens mit Recht so nennen, weil sie die Dinge durchschaut. Sie ist häufig mit höherer Intelligenz gepaart. Grabe du mit den Händen, ich erfinde erst die Schaufel und dann den Bagger. Sei du fleißig, ich verzichte auf diese Form von Anerkennung. Ich weiß, was ich kann, beuge nicht das Knie und lasse mir nicht das Köpfchen tätscheln.

Deprimierend dumme Maschine

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der damit in enger Verbindung steht. Wenn man erkennt und durchschaut, sind Belastungsstörung und Depression nicht weit, und die gehen ähnlich. Man kommt nicht rein in den Schlaf und nicht raus, kann sich kaum motivieren und die einfachsten Tätigkeiten kommen einem vor wie ein Marathonlauf.

Das wiederum ist eines dieser Signale, die protestantisch gehirngewaschene Menschenfreunde brauchen, um über das Pack herzufallen, das es selbst schuld ist in seiner Überheblichkeit, das sich weigert, seinen von Gott gegebenen Platz einzunehmen und artig zu spuren. Selbstdisziplin und Gehorsam sind gefragt, nicht Eigensinn und Renitenz. Kreativität ja, aber in geordneten Bahnen! Dann geht auch Irgendwasmitmedien®, und zwar staatstragend, wie sich das gehört.

 
xx

Das generische Maskulinum ist ihnen spinnefeind. Die Unfähigkeit, sich auch nur vorzustellen, dass eine Form alle Menschen meint, ist die Eintrittskarte. Es darf diese Form nicht geben, weil es sie bereits gibt und sie eben in wichtigen Bereichen Maskulinum ist. Für eine einflussreiche halbgebildete Peergroup in Medien und Politik (das, was von der Uni gleich in die entsprechenden Bereiche verklappt wurde und dort seinen Fanatismus auslebt) ist alles 'Männliche' ausdrücklich "giftig".

Die Person, das Subjekt, der Mensch – die Sprache nimmt in ihrer generischen Gestaltung keine Rücksicht auf natürliche Geschlechter. "Sie" ist nicht fraulich, "er" nicht männerhaft und "es" keine Sache. Das ist jedem klar, der sich ernsthaft und wissenschaftlich mit Sprache befasst. Wem die Ideologie wichtiger ist, darf hingegen die Inkompetenz pflegen, das nicht zu wissen.

Kapitalismus pur

Alte weiße Männer sind das Feindbild dieser Ideologen, ein solches ist ihnen offenbar unverzichtbar. Identitäre Konstrukte (Binnen-I, Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt, LBGTQI+UKWMfG) sind ersichtlich gescheitert und taugen nur dazu, nach der Art von Schauprozessen Abweichler zu markieren. Es geht darum, die Moral der Peergroup allen Sprechern und Autoren überzustülpen.

Das Konzept will Menschen entrechten, anstatt endlich Gleichheit zu schaffen. Es geht um Kategorien, in die man Menschen einordnet: Rassen, Sexualität, Geschlechter, Altersgruppen. Das haben wir aber alles längst. Linke haben einmal ihr Leben dafür eingesetzt, das zu ändern. Heute nennt sich ein neuer Rassismus "links", weil er den der Rechten auf den Kopf stellt.

Es ist im Kern eine Kopie kapitalistischer und vorkapitalistischer Herrschaftsformen. Es ist ein Herrschaftskonzept. Obendrein sind die Protagonisten so blöd, nicht zu erkennen, dass sie damit Herrschaft zementieren und die bestehende als solche anerkennen. Auch hier triumphiert die Dummheit der Moral: Das 'Gute' soll gewinnen, anstatt endlich die Dualität von Gewinnern und Verlierern zu durchbrechen. Es ist eine Ausgeburt der Konkurrenz, der kapitalistisch geheiligten Ungleichheit.

 
xx

Was ich bislang noch gar nicht in der gebotenen Deutlichkeit gesagt habe, weil die Moralisten mit ihrem Gebrüll alles Andere in die Defensive drängen: Was ihr da treibt, ist nach euren eigenen Maßstäben Beihilfe zum Massenmord. Schlimmer noch: Ihr tut euer Bestes, um die ganze Spezies auszulöschen, aus niederen Motiven.

Was ihr für Ideale haltet in eurer Selbstgerechtigkeit, verlängert einen Krieg, erzeugt tausende Opfer und birgt das realistische Risiko von Milliarden Toten. Das ist im Gegensatz zu euren Szenarien, die stets das Heilige der Wirklichkeit vorziehen, inzwischen erschreckend realistisch. Freiheit oder Tod, ja? Russland darf nicht gewinnen, das ist das vornehmste aller Ziele. Als sei das ein Fußballspiel.

Für Gott und Vaterland

Ich will einmal beispielhaft für viele idiotische Einlassungen zum Thema Folgendes zitieren: Auf die Folgen der Kriegsverlängerung hingewiesen ("folglich wollen sie weiter kämpfen und scheinen zu glauben, den Krieg "gewinnen" zu können. Das ist eine zynische Politik, der Menschenleben egal sind – von beiden Seiten") antwortet ein Diskutant ernsthaft:

"Definiere "vorbei". Vorbei im Sinne von Russland ist jetzt um eine Ukraine größer? Soll das so sein? Fänden die Ukrainer|innen das cool? Und was käme als nächstes? Alle Nicht-NATO-Staaten mit Grenze zu Russland werden ebenfalls "eingemeindet"? Ich weiß nicht, aber das kommt mir kein Stück weniger zynisch vor."

Schon die Sprache ist so infantil, dass es einen graust. Ob jemand das "cool" finde, sei hier die Frage angesichts ja genau der Verbrechen (es gibt keine Kriegsverbrechen, der Krieg ist das Verbrechen), die solche Hanswurste in ihre Moralpredigten einbauen. Es soll weitere tausende Opfer geben, für die Gerechtigkeit.

Frieden und Freiheit

Die Möglichkeit einer Kapitulation wird von diesen Kriegstreibern kategorisch ausgeschlossen. Die einzige Möglichkeit, die weiteres Sterben verhindert und die Eskalation beendet, wird aus moralischen Gründen für unmöglich erklärt. Ergänzend folgt stets das 'Argument', das Böse würde dann ja weiteres Böses tun. Wie blöd muss man sein, wie ignorant gegen Fakten, (Vor-)Geschichte und politisch/ökonomische Interessen?

Ihr mit eurer Moral befeuert einen Krieg, dessen Ausgang von vornherein feststeht. Der Irak wurde von den USA mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen, dessen Anlass eine Propagandalüge war. Hat der Aggressor sich von der Gegenwehr beeinflussen lassen? Interessiert es die Befehlshaber, wie viel ihres Menschenmaterials sie dabei verbrauchen? Ihr wisst, dass eure Moral eine Lüge ist.

Die Folgen sind noch insofern unklar, als dass man nicht weiß, ob diese militärische Phase eines Wirtschaftskriegs zur Auslöschung der Menschheit führt. Eure Unterstützung für die Verlängerung und Eskalation des Krieges aber ist Beihilfe zum Massenmord. Das folgt aus einer moralischen Sicht, wenn sie die Fakten nicht für ihren Hokuspokus ausblendet: Sie selbst ist ein Verbrechen.

 
xx

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. WHATABOUTISM!! Eigentlich könnte ich es dabei bewenden lassen und das Thema unter "isso" ablegen. Da mir aber zuletzt Heerscharen halbgescheiter Diskutanten damit auf den Ranz gehen, widme ich mich dem einmal eingehender.

Schon der Begriff ist eine Chimäre, die von den Kalten Kriegern des Westens als Vorwurf gegen das Böse aus dem Osten kreiert wurde. Das Ritual ging so, dass Westen in seinen ausschließlich Freiheit, Gerechtigkeit und Weltfrieden dienenden Kriegsbemühungen der anderen Seite stets mit der Menschenrechtsfrage kam, und die machte dann darauf aufmerksam, dass sie sich nicht von brutalen Rassisten belehren lassen wollte, wie sie wen zu behandeln hätte.

Selber, selber!

Die Kunst des Gegenvorwurfs muss man nicht "Whataboutism" nennen, im Gegenteil. Schauen wir uns doch mal an, wie der funktioniert und warum sich nicht jeder von jedem alles anhören muss, am besten in einer Grundschule, in der die eigenen Missetaten von Schülern gern mit denen der anderen 'gerechtfertigt' werden.

Einer wird erwischt, wie er einem anderen den Stiefel gibt, und hält es, darauf angesprochen, für ein valides Argument, das sei schon so in Ordnung, weil ein anderer auch schon einmal mit Händen und Füßen sein Recht erstritten habe. Nein, Kollege Bratwurst, das ist kein Grund. Anderenfalls wäre die Sache mit Kain und Abel ja der Freibrief für Mord und Totschlag. Kann man nicht so machen.

Wenn hingegen nun einer, der selbst gerade eine Oma vor den Bus geschubst und einen Kinderwagen umgetreten hat, härteste Strafen fordert gegen jemanden, der sein Kind ohrfeigt, dann ist es völlig okay, wenn man dem einen Vogel zeigt. Er hat sich für Forderungen im Sinne von Regeln, Sitten und Moral disqualifiziert. Obendrein fällt die Asymmetrie auf: Verführe man so mit den Regeln, müsste er für den Rest seines Lebens im Knast schmoren.

Totschlag für Totschlag

Dies als "Whataboutism" zu bezeichnen, ist falsch, tendenziös und dämlich. Und wenn, um das in den aktuellen Zusammenhang zu setzen, die Angriffskrieger von Vietnam, Irak, Jugoslawien und Afghanistan – um nur einige der Top-Hits zu nennen – im Verband mit ihren willigen Mordkumpanen hysterisch nach mehr Krieg und Sanktionen brüllen, dann kann man nicht, dann muss man ihnen sagen, sie sollen sich ihre unerträgliche Heuchelei dorthin schieben, wo keine Sonne scheint.

Die Chimäre, die stets mit dem Auftrag "Gehe hin und schlachte alle Argumente; lasse keines am Leben!" in Diskussionen geschickt wird, taugt auch in keinem anderen Zusammenhang. "Whataboutism" ist schlimmer als Whataboutism. Es reicht hie der Hinweis, dass ein Unrecht kein anderes rechtfertigt, was aber da kein Grund ist, Konsequenzen nur für andere zu fordern. Wie banal!

 
xx

Ein wichtiges Element der Religiosität, das sie von reiner Ideologie unterscheidet und sie sehr viel wirksamer macht, ist das aktive Tun bzw. Mittun. Im Sinne der Erlösungs- und Heilslehre werden rituelle Handlungen begangen, die auf magische Weise das Heil herbeiführen, so etwa Frieden durch Frieren. Erst das Tun festigt den Glauben.

Wie bereits erwähnt, liegt dem Verzicht derlei Magie inne, da mit diesem ja ein Sich-Verdienen verbunden ist. Eher noch höher einzuschätzen sind rituelle Handlungen, die mit Mildtätigkeit einhergehen. Altruismus erhöht die Wahrscheinlichkeit höherer Gnade, freilich nur dort, wo es den Guten dient. Das Böse und seine Anhänger gehören ja bestraft, wo nicht vernichtet.

Kollekte und Bekenntnis

Des Weiteren begeht man durch Betrachten und Anhören der heiligen Veranstaltung einen gemeinsamen Akt, wobei einer der Höhepunkte – der auch dem sozialen Status dient – die Kollekte ist. Man gibt den unschuldig Armen und Bedürftigen im Sinne der gemeinsamen religiösen Ziele: Mehren des Guten und Wehren des Bösen. Dies funktioniert in der kirchlichen Messe exakt wie bei der Spendengala.

Auch die Insignien dürfen nicht fehlen. Fisch, Kreuz, Halbmond, Sonnenrad – wie es euch gefällt. In Deutschland verbindet man das gern mit gemeinsamem Gesang und Beflaggung im und auf dem Weg ins Stadion. Politisch sind die Landesfarben aus ritueller Scham weniger beliebt. Umso losgelassener folgt man bei Gelegenheit anderen Farbkombinationen, aktuell Blau-Gelb.

Ganz vorn in der Liste religiöser Elemente steht in der Labergesellschaft zweifelsohne das Bekenntnis. Man legt es feierlich ab, steigert sich gemeinschaftlich zum Pathos über das Gute und einzig Wahre und macht sich auf die Suche nach Abweichlern, Zweiflern und Ketzern. Je nach Hormonfüllstand geht das als Appell, Forderung, Sachbeschädigung oder Lynchmord. Die diesbezüglichen Traditionen sind seit Jahrhunderten ungebrochen.

 
xx

Ich stelle gelegentlich fest, dass ich Begriffe selbstverständlich verwende, die aber der Erklärung bedürfen. Daher halte ich es für angezeigt, ein paar Worte zur Religiosität zu verlieren.

Beginnen wir mit einem Beispiel, das nicht zufällig dem Munde eines Pfaffen entschwob: "Frieren für den Frieden". Das ist erzprotestantisches Magisches Denken. Das ist ein Feature der Kirchen – egal, ob der Prediger seinen Sermon selbst glaubt oder nur die Schäfchen damit hüten will.

Verdiene dein Leben

Ein Kernelement des (nicht zuletzt modernen) Protestantismus ist das "Verdienen". Während der Kathole sich seine Gottesgnade jederzeit bei der Beichte abholen kann, darf der Protestant sich nie sicher sein. Um gut genug zu sein, muss er daher frömmeln, fleißeln und verzichten. In all dem liegt die Magie der Hoffnung, Gott nahe zu sein.

Deshalb ist es auch logisch, dass das Gute (Ukraine) obsiegt, wenn die Christenmenschen dafür Verzicht leisten (frieren). Politik, Ideologie, Kommunikation sind voll von diesem Zeugs, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Protestantismus die Beichte durch nimmermüde Selbstoffenbarung ersetzt hat.

Was du wert bist

Reden, vor allem Diskutieren, dient immer der Justierung von Werten. Des eigenen Wertes, des Wertes anderer und der Konsequenzen für den jeweiligen Wert, die aus sündigem Verhalten folgen, aka "Sanktionen" – im Terror der Jobcenter wie im Wirtschaftskrieg. Dabei geht es immer um (Herrschafts-)Moral, die immer die Logik übertrumpft.

Indiskutabel ist nicht etwa das Unsinnige, logisch Falsche oder Irreale, sondern das Unmoralische und die damit verbundenen Tabus. So geht es folgerichtig in Gesprächen meist darum, wer besser ist, wer gut, wer böse und wer Recht hat. Wo man sich nicht einig ist, bleiben die Regeln des Disputs unklar; oft gibt es keine. Disput ist moralischer Stellungskrieg.

Blablabla

Im Parlamentarismus – der wohl verstanden "Labergesellschaft" bedeutet – trägt das bittere Früchte. Während die Ordnung durch Gewohnheiten und Zwänge aufrecht erhalten wird, findet eine rationale Orientierung nicht statt. Dass eigene Überzeugungen ständig widerlegt werden, Regeln willkürlich gelten oder nicht, bemerkt der Laberbürger gar nicht. Es hat ja keine Folgen. Der Wecker klingelt so oder so, und das Geld muss man sich durch Fleiß und Gehorsam verdienen.

Dass jüngst der R-Wert für Christizitis in Deutschland unter eins gesunken ist (weniger als die Hälfte der Bewohner gehört noch einer christlichen Konfession an), ist daher auch kein Trost. Die Religiotie hat sich nahtlos in andere Idiotien transformiert, von denen die Eso-Spinnerei nur eine ist. Der Rest liegt verstreut in den Köpfen herum und wartet auf die nächste Gelegenheit, jemandem an die Backe gelabert zu werden.

 
xx

Ich hatte schon immer ein Problem mit meinen Mitmenschen, jenen nämlich, die mitdenken. Schlimmer noch: die erwarten, dass man selbst auch mitdenkt. In dem einen oder anderen Lehrer fand ich glücklicherweise verständnisvolle Begleiter, die mich nicht auf diese Weise normiert haben.

Mit dem Denken ist es viel komplizierter, als die meisten Menschen ahnen. Nicht nur, dass es nicht jeder 'kann' in dem Maße, wie er es sich ausmalt; es ist auch von sehr viel mehr Faktoren beeinflusst als dem, der gemeinhin unter 'Intelligenz' firmiert, oder von Talent.

Komme nicht dazu

Dass es Hindernisse fürs Denken gibt, ist allgemein bekannt. Adrenalin, Geschlechtshormone oder die anderen fünf Neurotransmitter, die in der Psychiatrie berücksichtigt werden, können furchtbare Taubheit in der Großhirnrinde verursachen. Zudem ist die Motivation, überhaupt über etwas nachzudenken, u.a. von der Persönlichkeitsentwicklung abhängig.

Wenn Kinder etwa dazu gezwungen sind, sich einen Reim auf ihre Umwelt zu machen, wenn sie besonders gefördert werden, ihre Neugier und ihr Reflexionsvermögen zu bilden, wenn sie in Umständen aufwachsen, die permanent ihre Aufmerksamkeit fordern, dann fördert das entsprechend ihre kognitive Leistungsfähigkeit und deren Gebrauch.

Das macht niemand bewusst mit Kindern, es sei denn, er ist ein Sadist oder sonstwie krank im Kopf. Passiert aber. Man darf also davon ausgehen, dass die leistungsfähigsten Menschen Opfer einer unglücklichen Kindheit sind, in der sie mit Überforderung gestraft wurden. Am Rande: Überbehütung macht dementsprechend doof – tendenziell.

Das Ende ist nah

Denken will motiviert sein. Jene Getriebenen, die nicht anders können, sind Outlaws in der Gesellschaft, die ein Mitdenken fordert, zumal dort, wo diese Gesellschaft Abweichungen registriert und diskriminiert. In einer solchen Gesellschaft ist die kreative und abweichende Nutzung des Verstandes häufig mit schlechten Erfahrungen verbunden. Das zeitigt Folgen.

Gerade in Zeiten, in denen Besonnenheit und Nachdenklichkeit erforderlich wären, brechen sich Wut und Hysterie Bahn. Schluss mit diesem Denken, das zu nichts führt und einsam macht! Zur Tat! Schließt die Reihen! Schlagt zu! Dies ist die Folge in einer Gesellschaft, die Denken nur in engen Bahnen zulässt; die es domestiziert und gerade so weit zulässt, wie es die gegebenen Zustände aufrecht erhält. Wo diese zerfallen, übernimmt das Rückenmark, weil Denken nie gelernt hat, Grenzen zu überschreiten.

 
xx

In dem gestern fertiggestellten Podcast habe ich einen Satz gesagt, der mich beim Schneiden selbst ein wenig überrascht hat, den ich aber durchaus unterschreiben kann: "Eigentlich will ich niemanden mehr überzeugen." Wenn man das oft und lange genug gemacht hat, kann einem durchaus irgendwann einfallen, einmal Aufwand und Erfolg dieser Bemühung abzugleichen, um zu dem Schluss zu kommen: Makes no sense.

Schon lange habe ich mir angewöhnt, in den Simulationen von Diskussion, die ich durchleide, ein Statement abzugeben, das ggf. noch zu erläutern und es dabei bewenden zu lassen. Damit kann man dann machen, was man will. Nicht ich muss überzeugend sein, sondern mein Argument. Ist es das nicht, hat es auch keinen Zweck, darzulegen und rhetorisch anzureichern, warum es gut, wahr und richtig sei.

Freiheit …

Alles andere ist Meinung, mithin ein Gemisch aus vermeintlichen Erkenntnissen, beliebigen Interpretationen, Halb- bis Unwissen, persönlichen Anwürfen, Sucht nach Aufmerksamkeit und anderem Firlefanz, der nicht dazu geeignet ist, inhaltlich weiterzukommen, sehr wohl aber dazu, jede Form von Triebabfuhr und Gruppenzwang zu begünstigen. Das kann man mitmachen, sollte sich aber gewahr sein, dass es eben nichts mit Diskurs zu tun hat.

Meinung ist Spaß, Privatvergnügen. Die Folgen sind weitreichend, denn es ist durchaus diese Meinung, von der im Grundgesetz die Rede ist. Dort steht demgemäß, dass du labern darfst, was dir einfällt, ohne dafür bestraft zu werden. Einschränkungen siehe StGB, etwa "Beleidigung", "Nötigung", "Verleumdung" oder "Verunglimpfung" sowie MarkenG. Ja, so frei ist das dann auch wieder nicht hier.

Nirgends ist auch nur ansatzweise gesagt, dass irgendwer ein Recht hätte, seine Meinung wirksam zu äußern. Erst recht nicht, er dürfe es unwidersprochen oder auch nur folgenlos. Nope. Das ist so bei Erwachsenen. Du reißt das Maul auf, du wirst dafür verantwortlich gemacht. Freiheit bedeutet nicht Safespace. Ganz im Gegenteil. Insofern haben wir also alle das Recht, uns etwas Spaß zu machen. Viele kennen das: Viel Spaß, viel Aua – der nächste Tag kommt ganz bestimmt, und wir sind dann oft froh um die Hilfe von Big Pharma. Danke, Alka Seltzer!

Davon war nie die Rede

Böse irreführend ist der Spuk, den das Bürgertum mit seiner parlamentarischen Parteiendemokratie ins Leben brachte, Stichwort "politische Willensbildung". Wie schon so oft hier zelebriert, ist das von vorn bis hinten Quatsch und naiver Humanismus. Die Wirkung ist aber kaum zu unterschätzen: Ja, ihr dürft euch das Maul fusselig labern und dabei zur Willensbildung® beitragen. Dass euer Wille dann irgendwen interessiert, ist aber nicht Teil der Abmachung.

Insofern: Macht euch Freude! Simuliert Diskurs, spielt "Diskussion", seid überzeugt davon, dass eure Überzeugungen für andere einfach überzeugend sein müssen. Wiederholt das, bis ihr erschöpft auf den Grund des Goldfischglases sinkt, und klopft euch auf die Schultern. Wieder ein großer Sieg im Kampf um das Gute, Schöne und Rechte! Nur kommt mir bitte nicht mit "Wahrheit". Die ist nämlich kein Spaß, die ist eine wirklich ernste Sache.

p.s.: Ich habe gern Spaß. Ich finde es auch nett, wenn mir per Depesche, Telegramm oder Postkutsche Nachrichten zugehen, aber dann haben die anderen ja gar keinen Spaß daran. Also bitte: siehe unten.

« Vorherige SeiteNächste Seite »