kunstlyriklamauk


 
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Vladimir Selenski, das wird leider selten deutlich im hiesigen Medientheater, ist Schauspieler. Immer schon gewesen. Weil er und sein Mäzen Igor Kolomojski verstanden hatten, dass Politik in der Ukraine nur eine Bühne ist für eine allgegenwärtige Korruption, haben sie korrekt erkannt, dass ein Schauspieler die beste Besetzung für das Amt des Präsidenten ist. Zunächst ein Wort zu dieser Korruption:

Wenn ich von Fällen offensichtlicher Korruption erfahre, zucke ich längst nur noch mit den Schultern. Für die auch nur virtuelle Abschaltung von Kohlekraftwerken, die nicht annähernd so gewinnträchtig sind wie die Erneuerbaren, erhält ein Konzern 'Entschädigungen', der gerade Rekordprofite eingefahren hat. Schulterzucken. Die Lokführergewerkschaft, eine der letzten, die noch für Arbeiterinteressen kämpft, wird gedisst, während sich der Versagervorstand der Bahn die Taschen vollstopft. Schulterzucken.

Von etwas muss man leben

Wie soll es dann erst in einem Land wie der Ukraine aussehen, die auf Korruption gebaut ist, aus Korruption besteht und von Korruption lebt? Wie würde irgendwer von uns in einem solchen Klima bestehen? Ich bin sicher, selbst ich würde da hemmungslos korrupt, obwohl ich immer sage, dass ich dafür zu teuer bin. Die Ukraine steht seit ihrer Gründung im Jahr 1991 unter Einfluss. Russischer Einfluss, immer stärker EU- und US-Einfluss, mithin Schmiergeld, Raubgeld, Schutzgeld. Bis 2014 war das Allgemeinwissen, dann wurden die Huren zu Heiligen und die Mafiosi zu Musterdemokraten.

Selenski war ein Profi. Seine Aufgabe war es, seinem Herrchen die Stöckchen zu bringen. Dann kam etwas dazwischen, womit beide nicht gerechnet hatten: Statt Frieden mit Russland zu machen und gemütlich das Land auszuplündern, kam die NATO in Gestalt des Boris Johnson und machte ein Angebot, das Selenski nicht ablehnen konnte. Vor ihm die Billionen des Wertewestens, um ihn herum deren Freunde, die Zeugen Banderas: Asow, Ajdar, Rechter Sektor, Schachtjorsk, Dnjepr, Donbass, Swoboda und andere Banden der Ukronazis.

Kann gehen

Für den frisch gewählten Präsidenten war das ein Schock, der Schauspieler hat sich fix umgezogen und ist in die neue Rolle geschlüpft. Retter, Held, Kämpfer, Sieger. Ein Stratege war er nie; er hat bestenfalls geahnt, worauf er sich einließ. Wie dem auch sei, die Rolle hat er gespielt, umso pathetischer, je mehr Heldenmut die einzige Ressource war, um wenigstens den Medienkrieg zu gewinnen. Inzwischen ist er der Letzte, der die Mission noch zu erfüllen versucht – weil es für ihn keine Option zum Rückzug gibt.

Die anderen ziehen ihr Kapital ab, schreiben das Projekt ab, ziehen weiter, zündeln woanders, schaden Russland auf kleinerer Flamme, orientieren sich neu. Nur der Frontrenner kann nicht anders. Sie haben ihm gesagt, es gibt keine Verhandlungen. Ihr müsst gewinnen. Du bist die Galionsfigur des Endsiegs. Selenski hat das geliefert und ist geliefert. Man will ihn jetzt loswerden und nichts mehr wissen vom Geschwätz von gestern. Der Fanatiker hat den Verstand verloren. Er muss weg. Der Held war immer nur eine Rolle. Der Märtyrer ist real.

 
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Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F041435-0028 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0

Ein weiterer Landesverband der AfD wird als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Dafür ist der Verfassungsschutz zuständig; jener Verein, der von NSU bis Breitscheidplatz bei jeden Terroranschlag seine Leute im Spiel hat und am liebsten dafür sorgen würde, dass in den nächsten 1000 Jahren niemand genau erfährt, was die damit zu tun haben.

Das sind also diejenigen, die beurteilen, wer rechtsextrem ist und wer nicht, und man muss mutmaßen, dass jene, die rechtsextrem genug sind, geschützt werden, während im europäischen Maßstab 'normal' Rechtsnationale als Gegner betrachtet werden. Die Rechtsnationalen, die sich anschicken, stärkste Partei zu werden – nicht nur in den Bundesländern, in denen sie jetzt als neue Nazis gelten.

Guter Nazi, böser Nazi

Der zuständige Landeschef des VS gibt zu Protokoll:
"Eine derart rassistische Ausprägung des Volksbegriffs, wie ihn die AfD Sachsen öffentlich vertritt, hat seine Wurzeln im historischen Nationalsozialismus" und meint damit Begriffe wie "Ethnopluralismus", den die AfD diskriminierend verwendet. Wenn diese Behörde nichts qualitativ Besseres zu leisten weiß als Godwin-Kommentare, ist ihre Expertise entsprechend einzustufen. Das ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil stimmt.

Völkisch ist das sehr wohl und damit rassistisch in der Tendenz. Die Nazis aber haben den Genozid an Millionen nicht nur ausdrücklich im Programm gehabt, sondern ihn verübt. Erkennt ihr den Unterschied? Zudem ist diese völkische Tendenz in Europa aktuell überall zu erkennen, und vor allem: Deren Anhänger sind keine Extremisten. Das ist die bürgerliche Mitte, gern protestantisch; das ist allerdings dieselbe Klientel, die die Nazis gewählt hat.

Die sind im Kern nach wie vor gut angesehen in der Gesellschaft. Von Globke, Gehlen und Filbinger über die Ausländerfeinde der 90er Jahre bis hin zu den besorgten Bürgern. Die Amerikaner – das ist das einzig Gute, das ich an deren Wirken erkennen kann – haben den Deutschen den Judenhass ausgetrieben. Keineswegs trifft das aber fürs Völkische zu, für den Hass auf alles Linke, Zigeuner und Asylschmarotzer. Diese Haltungen docken direkt an an den Common Sense an und sind allemal gesellschaftsfähiger als wirksame Kapitalismuskritik.

Ende Gelände

Die AfD zu diskriminieren, heißt die Wutbürger der Mitte weiter aufzuheizen. Wenn obendrein deren politische Ziele von den Versagern der neoliberalen Atlantiker hektisch umgesetzt werden, machen diese sich endgültig überflüssig. Hält man die Verfassungsschützer nicht für komplette Deppen, könnte man dahinter gar ein Konzept erkennen, zumal sie professionell "konspirativ" arbeiten. Verschwörung ist mithin ihr Metier.

Der Wertewesten kollabiert. Wer die hiesigen Zustände alarmierend findet, mag etwa in die USA schauen. Donald Trump muss der nächste Präsident werden. So wie die Umfragen laufen, glaubt kein Wähler der GOP, ein Sieg Bidens könnte etwas anderes sein als Wahlbetrug. Ein Bürgerkrieg ließe sich dann kaum mehr verhindern. Mal schauen, ob unsere Spezialisten den Laden hier auch so abrocken werden.

 
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Quelle: Pixabay

In Deutschland, einem ehemals reichen Land, noch unter den Bedingungen eines solchen, läuft es, wie es soll. Das mit der Bildung, so wusste schon Humboldt, ist etwas für Leute, die sie sich leisten können, so gut sie es sich eben leisten können:

Bei der aktuellen "Pisa-Studie" hat das deutsche Bildungssystem 2022 so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor. Ein neuer Rekord! In Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erreichten die 15-jährigen Schüler aus Deutschland die schlechtesten Werte, die jemals im diesem Rahmen gemessen wurden. Besser noch: Der Schulerfolg hängt in Deutschland mehr als in fast allen anderen Staaten der OECD vom Einkommen ab.

Was lernen wir daraus? Unterschichtskinder sind einfach dumm. Die Eltern sind dumm, die Großeltern sind dumm. Wer dumm ist, wird Unterschicht und bleibt Unterschicht. Die SPD wollte das in den 70er Jahren einmal ändern und hat zum überbordenden Sozialstaat noch das BAFöG addiert. Seitdem haben auch ein paar Doofe promoviert, aber solche Pannen sind selten.

Läuft

Wie schon Humboldt erklärte, ist die Mittelschicht für Mittelschlaue, die eine Art Mittelschule besuchen sollten. Nun hat die SPD ja aus Rache, weil die Kooperative Schule verhindert wurde, Gesamtschulen installiert, die eigentlich Hauptschulen sind, das Niveau der Realschulen gleich mit herabgezogen und das Gymnasium zu einem Tummelplatz der Mittelschicht gemacht. Das kann man so weit tolerieren.

Oberschichtskinder sind die klügsten. Man weiß schon beim Schuleintritt: Oberschichtskinder machen einen Doktor. Auch Mittelschichtskinder dürfen einen machen, wenn sie sehr gut sind. Das macht sie zwar keineswegs zur Oberschicht, aber man kann sie gebrauchen. Viele von ihnen werden Exosoziologen, Parapsychologen und Kognitionshömöopathen, manche auch Ökonomen oder Wissenschaftler. Diese werden gern als Experten herumgereicht.

Die Unterschicht wird man in der Zeitenwende® gerade als Dummies dennoch sehr gut gebrauchen können. Für ihren Daseinszweck müssen sie nicht selber denken können; im Gegenteil, das würde nur stören. Der Stolz der Soldaten und ihrer gleichnamigen Mütter ist allenfalls eine Frage der Herzensbildung. Die wächst unter den schwierigsten Bedingungen und jenseits der Schulweisheit besonders gut. Es gibt also absolut nichts auszusetzen am Bildungssystem. Genaugenommen ist es nachgerade perfekt.

 
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Lächle doch mal! Sei nicht so negativ! Trink doch einen mit, stell dich nicht so an! Sieh doch mal das Schöne im Leben! So schlimm wird es schon nicht sein. Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben! Kopf hoch, sonst fällt das Krönchen …

Ja genau. Wieso zur Hölle bin ich eigentlich noch nicht selbst darauf gekommen? Mannmannmann, da kullert doch mein Krönchen, weil ich Dummie wieder vergessen habe, das Köpfchen hochzunehmen! Das Geilste an vielen Mutmachern ist ja, dass sie nicht nur zu doof sind, sich Gründe auszumalen für die schlechte Stimmung, die ihnen aus einem Gesicht entgegenschlägt.

Nicht nur, dass sie einem nicht einmal die Depression gönnen, nein. Sie sind dann auch noch empört, wenn sie es mit der aggressiven Variante der Bewältigung zu tun bekommen. Dabei muss jeder, der mich länger als 5 Minuten kennt, ahnen, wie nah ich am Tourette gebaut bin. Das ist doch dann ganz einfach: Nicht reinsprechen, kein Echo.

Ruhedonnerwetternochmal

Früher wollte ich Busfahrer werden. Ich war auf der Stelle verliebt in den Job unter dem Schild über dem Paradies: "Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen!". Ich hätte den Fahrgästen jeden Tag aufs Neue deutlich gemacht, was “Gast” bedeutet und dass sie NICHT MIT DEM FAHRER zu SPRECHEN haben. Denn "Fahrt", das wär’ wohl, wenn ich da wäre. Niemand hätte mich aufgemuntert. Niemand hätte gemuckt. Nicht auf meiner Route.

Sei doch mal positiv! Bin ich doch, oder zählt mein HIV-Test etwa gar nicht?! Wo ist dein Optimismus? Meiner? Das ist deiner. Ich habe irgendwann nach meiner Geburt einmal nachgedacht. Seitdem bin ich Realist, also Pessimist. Nachdem ich damit also schon kein Glück mehr hatte, kam noch Pech dazu. Tut mir also leid, wenn meine eingefrorene Visage dir Kummer bereitet. Soll ich mich töten für dich? Ich könnte das gleich hier tun. Ich meine, wenn das wirklich so schlimm für dich ist …

Seien wir doch mal ehrlich. Die besten Zeiten haben wir hinter uns, wenn wir merken, dass wir sie vielleicht mal hatten. Okay, jetzt kann man in alten Zeiten schwelgen und sich schon morgens besaufen, um nicht zu merken, dass es nie mehr so wird. Werden die Zeiten dann aus irgend einem Grund noch schlimmer, vielleicht die nächste Droge on top, das wird aber teuer, macht’s nicht besser und ist wirtschaftlich für viele auch einfach nicht zu stemmen. Bleibt also was? Richtig: Depression. Wie gesagt, in unterschiedlichen Varianten.

So, jetzt sind da draußen aber permanent Haufen von Hohlfrüchten unterwegs, die einem das verleiden. Wisst ihr, wie ich das nenne? Diskriminierung, übelste Sorte. Vergräbst du dich zuhause, locken sie dich raus, gehst du raus, kommst du keine fünf Meter weit ohne auf ein Rudel Gurken zu stoßen, aus dem mindestens zwei Scheiben dir mit ihrer zur Schau gestellten Lebensfreude auf die Eier gehen. Diese Zuchtmeister der Schunkelstimmung, die all ihren hasserfüllten Optimismus darauf verwenden, harmlose Autisten in den Suizid zu umarmen.

Schluss mit der Unterdrückung

Diese Psychorassisten wollen dabei nicht nur die schlechte Laune, die Depression und den Zorn liquidieren. Der Völkermord an der einstmals hohen Kultur des Fluchens, Nörgelns und Keifens schreckt selbstverständlich nicht vor der totalen Vernichtung unserer Sprache zurück. Warum muss etwa ein Jurist sich hinter der Floskel: "Hochachtungsvoll" verstecken, wenn er "Leck mich am Arsch" meint? Oder "Mit vorzüglicher Hochachtung" anstelle des ehrlichen “Du blöder Wichser!”? Warum heißt es "Guten Morgen", wenn einem bestenfalls egal ist, wie ein irrelevanter Mitinsasse dieses verschwendeten Planeten den Vormittag findet?

Damit wie gesagt nicht genug; wenn man nur gerade der Norm der fröhlichen Heuchelei entspricht, findet sich immer, überall und sofort ein Weltverblöder, der mehr Begeisterung verlangt (hier sollte es doch wenigstens auffallen, dass ein Mangel an Geist zwar notwendige Bedingung ist für diese Haltung, aber eben gerade nicht dadurch kompensiert werden kann). Ich hingegen verlange eine Aufnahme der Stimmungsautisten, Depressiven und Entnervten ins Antidiskriminierungsgesetz. Fortan soll, wer anderer Menschen Stimmung aufzuhellen versucht oder sie gar selbst dazu auffordert, ihre Stimmung zu wechseln, sanktioniert werden wie jeder andere miese Stalker.

Außerdem erwarte ich eine Anpassung der Regeln des offiziellen Schriftverkehrs dahingehend, dass ein Idiot auch "Idiot", Scheiße "scheiße" und überhaupt jede der vorgeblichen Neutralität entzogene Empfindung der dunklen Seite beim Namen genannt wird. Wer dies als ungebührlich, zu 'negativ' oder pessimistisch empfindet, ist aufgefordert, dergleichen fortan uneingeschränkt lustig® zu finden. Lach doch mal drüber! Hab dich nicht so! Stell dich nicht so an! Ey, du hast es doch gut!

März 2015

 
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Ich betreibe dieses Blog bekanntermaßen seit 18 Jahren. Bis zu 360 Postings pro Jahr sind dabei herumgekommen, mithin darf ich behaupten, dass ich mich professionell mit den Inhalten befasse, vor allem politischen. Dabei habe ich eine Menge gelernt und wundere mich, wieso ein ähnlicher Effekt offenbar bei fast all denen ausbleibt, die sich an anderer Stelle mit denselben Themen befassen.

Journalisten, Politiker, sogenannte Experten. Am ehesten geht mir noch ein, dass sie sich vom Betrieb korrumpieren und verblöden lassen, sodass sie am Ende ihren eigenen Erzählungen glauben. Je bescheidener ihr Verstand, umso deutlicher der Effekt. Aber es scheint durch, dass ganz Gallien im Zweifel der Wirklichkeit panisch den Rücken kehrt und sein Heil im Fairytaling sucht.

Verstehen vs. halluzinieren

Das andere Ufer ist weit, kommt man doch obendrein nur dort an, wenn man streng materialistisch denkt, will heißen: Vergiss Personen, Absichten und Motive; wenn du die Welt verstehen willst, beschäftige dich mit Optionen, Strukturen, Kräften. Interessen spielen da durchaus eine Rolle, sind aber ihrerseits immer eingebunden in Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die eben diese Interessen immer stärker beeinflussen als andersherum.

Einfaches Beispiel: Kapitalismus fördert Gier. Er kommt aber problemlos auch ohne aus und würde sich nicht verändern, gäbe es sie nicht. Die Gier hingegen, die sich in ihm ausbildet, ist auf breiter Fläche nur in ihm möglich und würde unter anderen Bedingungen konsequent unterdrückt.

Das Establishment, die versammelte Elite bescheidener Geister, glaubt hingegen lieber wie in der Steinzeit an Wollen als Wirken, Geist und Ideale als bestimmende Faktoren des Seins. Wünschdirwas, 'Man-müsste-nur', wir haben das hier oft durchgekaut. Das geht so weit, dass politisches Funktionsmobiliar gar nicht erst mehr versucht, Probleme zu definieren und Lösungsansätze vorzuschlagen. Sie erzählen uns lieber, wie sie’s gern hätten und werden dafür beklatscht.

Der Kanzler hätte es gern schön

Zwei sehr aktuelle Beispiele hirnerweichender Naivität, mit der Experten® und Politiker herumfuhrwerken: Erstens ein derzeit populärer Plauderer des österreichischen Militärs namens Markus Reisner. Weil er ab und an einen Blick auf die Frontverläufe wirft und vergeblich die Erfolge sucht, von denen er im Fernsehen hört, gilt er als kritisch.

Aber selbst dieser wagemutige Held mit immerhin schwacher Realitätsanbindung wabert durchs Wünschdirwas. Etwas anderes als Siegesstrategien fällt ihm nicht ein, also fordert er u.a. "mehr Drohnen" und anderes Siegesgerät. Dass Russland genau deshalb seine SMO zum Erfolg führt, weil es den Wertewesten industriell in Grund und Boden produziert, kann er nicht sehen wollen. Da gewinnen nämlich die Falschen und obendrein wird Heldenmut brutal von Ökonomie geschlagen.

Ein noch traurigerer Fall ist der Cum-Ex-Kanzler mit seiner ganz speziellen Beziehung zu allem rund ums Thema Immobilien. Hunderttausende sind bereits obdachlos, Millionen können sich ihre Behausung plus warme Mahlzeit nicht mehr leisten. Was sagt der approbierte Arbeiterführer dazu? Er wünsche sich "einen Bauboom wie in den Siebzigern". Will er haben. Fände er toll. Applaus, den wähle ich. Und zu Weihnachten bitte noch Marzipan für alle!

 
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Neun Jahre ist es jetzt her, da der 'Spiegel' seinen erfolgreichsten Titel designt hat: "Stoppt Putin jetzt!". Tja; bis heute ist der Hintergrund ungeklärt, aber germanischer Spitzenjournalismus mit heißestem Draht zu den Diensten® ist schneller als jeder andere. Wir sind Weltspitze (im vor-die-Wand-Rasen und gleich die nächste Ansteuern)!

Wir erinnern uns: Über einem Bürgerkriegsgebiet, dass hie von der NATO und dort von Russland mit Mordspielzeugs versorgt wird, wird ein Linienjet abgeschossen. Nun könnte man so etwas titeln wie "Obacht bei der Routenplanung" oder "Shortcut to Hell", aber nein: Erst mal einen Schuldigen hängen, dann eine Klickstrecke einrichten und seine eigene Airline in der Nase explodieren lassen. Willkommen in der Ericusspitze!

Überholspur, Lichthupe

Dass sie, um Putin zu bespucken, ungefragt Fotos der Absturzopfer missbraucht haben, trug ihnen dann obendrein hochwillkommene Publicity durch den Presserat ein.
"Hahaha, friss das, 'Bild!' ist noch Koks da? Ich bin so geil, ich könnte mich selbst von hinten ficken. Genial!" soll mutmaßlich offenbar ein Insasse gesagt haben, der als Redakteur gilt. Protokolle der nämlichen Redaktionssitzung konnten auf dem Weg in die Botschaft Ecuadors abgefangen und rechtzeitig neutralisiert werden.

Aber auch in anderen Redaktionen wird feste gefeiert. Schließlich wird journalistisches Spitzenpersonal herumgereicht wie ein Wanderpokal und bringt daher entsprechende Ressourcen an den je neuen Arbeitsort mit. Nie wieder nüchtern! Die Schreibroboter aus der Etappe werden mit billigem Fusel versorgt, der gute Stoff ("Atlantiker-Popcorn") ist nur für die Erwachsenen.

Neuland über alles

Die Kriterien für Qualitätsjournalismus® haben sich kaum geändert: Brauchte es einst eine hervorragende Orthographie und Interpunktion, sind heute die Bedienung einer Office-Software und souveränes Auftreten gegenüber Praktikanten die entscheidenden Skills. Wer trotz hohen Bildungsgrades das Mobbing der Kollegen überlebt, wird Sportredakteur. Nutzer mehrerer unabhängiger Quellen (Gras, Rum, Zigarren, Weiber) mit guten Beziehungen zum Chef werden befristet als Kolumnisten gehalten.

Am schwersten zu leiden hat die Branche nach wie vor unter den hektischen Anpassungen an das komplexe und weitgehend unbekannte Medium "KI". Während todesmutige und komplett abgefuckte Exschreiber sich vorauseilend unter Zuhilfenahme des Laberkastens selbst abschaffen, müssen Kollegen noch ihr erschütterndes Unverständnis der Technik mit demselben Ende in Beiträge gießen. Auch die Hoffnung, der Chatbot möge sich angesichts dieser unsagbar deprimierenden Dummheit suizidieren, hat sich nicht erfüllt.

Dings, äh …

Um die Deutungshoheit nicht an Kriminelle und Diktatoren zu verlieren, werden mithilfe von Bundeswehr, BND und T-Systems derzeit 'Zentren für Fairness in der Meinungsfreiheit' eingerichtet. Hier sorgen Fachkräfte dafür, dass die öffentlichen Meinungsäußerungen einem repräsentativen Querschnitt entsprechen. Außerdem bereichert dieses Angebot die Kommunikation durch interessante Produktinformationen, die zwanglos in Kommentare eingeflochten werden.

Wie ein Sprecher aus gut unterrichteten Kreisen gegenüber Medienvertretern nach Berichten zuverlässiger Quellen gemäßigter Rebellen verlautbaren ließ, hat der Machthaber ein Regime. Bundeserweißesauchnichtsogenau Hebestreit wiederholte vor Pressevertretern, er kaufe nichts an der Haustür es lägen ihm keine neuen Erkenntnisse vor als solche, die der Bevölkerung nicht zuzumuten seien.

Erstaufführung: 26.07.2018

 
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Wir berichten heute von einer Demonstration der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Braunlage, Titel: "Wir sind Groffz." Mehrere Dutzend Menschen haben sich hier eingefunden, um die dunkelmagentafarbene Revolution mit Weste voranzubringen. Die Bewegung wendet sich gegen einen Planeten ohne Wachstum. Gerade wird hier skandiert: "Hoch der internationale faire Wettbewerb!" Ich stehe hier mit Jutta und Klaus, engagierte Aktivisten der Bewegung.

Jutta: Das ist wie Neunundachtzig. Man riecht die Freiheit.

Feynsinn: Was genau ist wie Neunundachtzig?

Jutta: Na der Kampf gegen den Kommunismus.

Klaus (gleichzeitig): Na der Kampf gegen die Willkür der Fürsten.

Feynsinn: Darauf einen Neunundachtziger! Aber was ist euer Plan? Wofür oder wogegen seid ihr genau?

Jutta: Na gegen die Ungerechtigkeit. Wir kämpfen für Gerechtigkeit.

Klaus: Genau! Wir wollen endlich Chancengerechtigkeit.

Feynsinn: Und wie sieht die aus?

Klaus: Ist doch klar: Jeder hat Chancen. Wer sie nutzt, hat Erfolg. Wer Erfolg hat, muss vor den Neidern beschützt werden.

Jutta: Genau! Dass da nicht die Kommunisten kommen und einem alles wegnehmen. Oder die Fürsten.

Ein Passant mischt sich ein: Ich habe zwei Privatinsolvenzen hinter mir. Zwei Privatinsolvenzen! Und alles nur wegen den Steuern. Alles nur wegen den Steuern!

Jutta: Da sieht man’s wieder!

Feynsinn: Wer ist denn so hier dabei? Wer sind die Freiheitskämpfer, mit denen ihr schreitet Seit' an Seit'?

Klaus: Ach, das sind alle, die hier unterdrückt werden. Vom erfolgreichen Startup bis zur großen Aktiengesellschaft. Aber die Freiheit siegt am Ende immer.

Jutta: Genau! In unserem Kampflied heißt es deshalb auch: "Es rettet uns keine Regierung, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun."

Feynsinn: Eingängig. Kommt einem sofort bekannt vor.

Klaus: Wir wollen einfach, dass das aufhört mit dieser Gängelung, dieser Unterdrückung, dieser aus Steuern finanzierten Mordmaschinerie.

Jutta: Genau! Und die Kinder! Ich kriege diese Bilder von den toten Kindern nicht aus dem Kopf.

Feynsinn: Ähm, tote Kinder? Welche …

Jutta: Mein Gott, wie kann man nur so zynisch sein!

Klaus: Sie haben wohl überhaupt kein Schamgefühl, was? Jutta, wir gehen!

Sie ziehen ab und skandieren: "Dinero unido, jamás será vencido".

Feynsinn: So viel von der heutigen Veranstaltung dieser sympathischen Grasraucherbewegung, und damit zurück ins Studio.

p.s./Update: Wie eben bekannt wird, distanziert sich die Bewegung von ihrem militanten Ableger "Kommando Arnulf Baring", der angekündigt hat, Stinkbombenanschläge auf Talkshows mit Beteiligung von Sahra Wagenknecht zu verüben. Es gebe auch friedliche Methoden gegen übertriebene Meinungsfreiheit.

 
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Vor geraumer Zeit hat mir jemand, den ich gut kenne, von einem Schadsoftware-Angriff auf seine Firma berichtet. Es handelt sich um eine Weltfirma, deren Namen ich hier genau so wenig nenne wie irgendetwas anderes, das zur Identifizierung der Beteiligten führen könnte. Es war ein Desaster. Fast alle Rechner weltweit waren betroffen, jedenfalls die in seinem Heimatland.

Das Bizarre an dieser Geschichte ist nicht nur, dass diese Firma, die von einer funktionierenden EDV-Infrastruktur noch abhängiger ist als viele andere, keine angemessene Vorsorge getroffen hat, sondern, woran das im Einzelnen liegt. Glück im Unglück, dass ein paar kompetente Leute innerhalb der Firma noch wussten, was nach dem Crash zu tun war, während sich die eigentlich Verantwortlichen und Zuständigen als Totalausfall epischen Ausmaßes erwiesen.

Kann man nix machen

Zur Ursache: Sowohl die Schadsoftware als auch die Schwachstelle waren seit Langem bekannt. Der Hersteller des betroffenen Betriebssystems hatte seit mehr als einem halben Jahr die Sicherheitslücke geschlossen – wenn man denn das Nötigste dazu getan hätte. Die zuständige externe Firma aber, ebenfalls eine Weltfirma, hatte es nicht für nötig erachtet, die Systeme zu patchen.

Derart als Komplettversager überführt, hielt sie es dennoch nicht für nötig, den Schaden wenigstens mit Priorität beheben zu helfen. Stattdessen kam vom Support im Kern nur ein Wort: "Caniclosedaticket?". Turbulente Verhandlungen führten dann zu etwas mehr Schwung in der Sache. Es hat dennoch Monate gedauert, alles wieder zum Laufen zu bringen.

Wozu der Stress?

Jetzt kommt aber das Beste an der Geschichte: Hat die betroffene Firma ihren IT-Dienstleister achtkantig vor die Tür geworfen, ihn in Grund und Boden verklagt und die horrenden Honorare zuzüglich Schadenersatz eingeklagt? Ihr ahnt es schon: Nein. Der Dienstleister wird vielmehr weiterhin für seine großartige Arbeit bezahlt. Er ist seinerseits Kunde der betroffenen Firma. Win-win!

Was lehrt uns das? Es gibt nicht nur keine Sicherheit in der IT, es wird nicht nur auf einem Weltniveau geschlampt, das selbst ich mir nicht leiste, es wird vor allem so getan als ob. Wir haben doch diese Riesenfirma, die das für uns erledigt; mehr können wir ja nicht tun. Das mit dem Geldverdienen klappt auch prima, selbst nach dem Worst Case. Wozu sollten wir etwas ändern? Wer sollte sich dafür mit dem Endboss anlegen? Wer sollte den ganzen Aufwand einer seriösen IT betreiben, wenn es so viel billiger geht?

 
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Was braucht es eigentlich, damit Menschen sich ihre Grundrechte nehmen – Menschen, die man hungern und frieren lässt? Identifizieren sie sich mit ihrer Rolle als Nutz- und Rechtlose oder sind sie in der Lage, aufzubegehren?

Das gilt für Menschen überall auf der Erde. Egal, unter welcher Regierungsform oder Flagge sie gehalten werden, lassen sich ganze Bevölkerungen von Minderheiten drangsalieren. Haben sie keine Ambitionen, das zu ändern?

Nach allen Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart warten viele vielleicht immer noch auf den Retter, den richtigen am Ruder® oder ernsthaft eine neue (bürgerliche, sich dann wieder einmal als volksnah ausgebende) Partei, die jetzt aber endlich das Gute für alle bewirkt. Da kann man auch gleich beten, das hat die gleichen Erfolgsaussichten.

Warten auf das Gute

Es wird viel versprochen, immer wieder auch "soziale Gerechtigkeit". Worin soll die bestehen? Es gibt ja nicht einmal juristische Waffengleichheit zwischen Armen und Reichen, und völlig zurecht sagt Raul Zelik: "Das Drama der bürgerlichen Gesellschaft ist ja, dass sie Gleichheits- und Freiheitsrechte postuliert, die sie aufgrund ihrer Eigentumsverhältnisse gar nicht einlösen kann."

Obendrein werden Menschen, die systematisch ausgesiebt und benachteiligt werden, noch als "Prekariat" und "bildungsferne Schicht" bezeichnet, als seien sie qua Geburt irgendwie nicht voll zurechnungsfähig, wo nicht eben Sklaven aus eigener Schuld.

Dabei sind sie, egal ob in Metropolen oder irgendwo auf dem Land, in Europa, Asien oder Afrika, die große Mehrheit der Gesellschaften. Daraus müsste sich eigentlich eine entsprechende Macht ableiten lassen, wenn sich diese Werktätigen und Lohnarbeiter organisieren würden. Sie müssten allerdings verstehen, dass sie dafür kämpfen müssen – nicht nur für sich, sondern auch gegen die Klasse ihrer Ausbeuter.

Ende der Übersetzung aus dem Deutschen.

p.s.:/Update: Wie ich neulich im Podcast bereits sagte, finde ich die Zeilen:

Es rettet uns kein höh’res Wesen
Kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
Können wir nur selber tun!

besonders weise. Schade, dass daraus der GAU einer hierarchisch-zentralistischen Partei wurde.

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